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Reisebericht zu Andalusien→Costa de la Luz→Cadiz Karneval

Karneval in der Altstadt von Cadiz sogar in der Fastenzeit

Carnaval Chiquito: Foto der Vorzeiger

Nach Bezug einer traumhaften Ferienwohnung und schönem Stranderlebnis wollen wir jetzt Cadiz entspannt erleben. Schon während unseres Einkaufsversuchs und danach rund um die Kathedrale begegnet uns merkwürdiger Trubel. Der Carnaval Chiquito als Festival der Bänkelsänger fällt uns quasi zufällig in den Schoß verbunden mit der Erkenntnis, dass Aschermittwoch nicht überall alles vorbei ist.

Wir haben unsere ersten Badestunden an Andalusiens Costa de la Luz genossen. Nach Stunden des Faulenzens gilt es jetzt, noch etwas zu erleben. Mit deutlich entspannterer Grundstimmung als beim ersten Besuch möchten wir nochmal nach Cadiz fahren und auf dem Weg dorthin einige Einkäufe erledigen.

Diesmal wählen wir den Weg über den Ort Conil, um die Verbindung zur Autobahn zu erlernen und uns nicht mehr in irgendwelchen Vororten zu verfranzen, wie beim ersten Anfahrtsversuch zu unserer hiesigen Lieblingsunterkunft. Es stellt sich heraus, dass wir eigentlich nur im letzten Kreisverkehr der großzügigen Umgehung von Conil unserem Gefühl hätten vertrauen müssen und zum Sporthafen fahren sollen, ansonsten war alles richtig.

Auch in San Fernando finden wir unseren Supermarkt

Der Verkehr ist heute natürlich deutlich entspannter. Wir zeigen Chiclana und Sancti Petri kurz den Stinkefinger und sind schon wieder in San Fernando. Die Ausfahrt zum Supermarkt Carrefour transportiert uns direkt in ein echtes Gewerbegebiet mit einem Gewirr von Einkaufszentren, Parkplätzen und Industrieanlagen so wie im EURO-Industriepark in München. Gemeinsam mit uns werden offenbar Busladungen von Menschen hierher gekarrt. Der Supermarkt unserer Wahl scheint sich der Beschilderung nach in einem ganzen Komplex von einzelnen Läden, also auf neudeutsch einer Mall zu befinden und hier tobt auch richtig das Leben. Heerscharen bemalter Kinder säumen die Arkadenwege im Erdgeschoß des offensichtlich auch den Carrefour beherbergenden Betonmonsters. Karneval ist ja eigentlich vorbei, nachdem wir am Ascherdonnerstag in Richtung Spanien abgeflogen sind. Es sieht aber so aus, als würde hier ein gigantischer Gruppenkindergeburtstag gefeiert.

Schlauerweise lassen wir die meterlangen Ketten von Einkaufswägen links liegen und erkunden erst einmal die Lage. Hinter den sich automatisch öffnenden Glastüren im Inneren wird es nämlich sofort kühler, vor allem aber auch merklich ruhiger. Die Reihen von Schaufenstern sind mit dicken Gitterläden gesichert, Verkaufsinteresse ist nirgendwo erkennbar. Die wenigen Familien, die hier herumgeistern, scheinen eher auf der Suche nach einer Toilette zu sein denn auf Shoppingtour. Die finden auch wir sehr schnell, was gut ist für Lore. Allerdings sehen wir ebenfalls rückwärtig hinter einem breitflächig verschlossenen Rollgitter die Tiefen unseres angestrebten Carrefour-Supermarkts in tiefer Dunkelheit schlummern. Trotz allem Trubel ist hier der Sonntag wohl doch noch heilig, obwohl die Werbetafel an der Autobahn "immer geöffnet" versprochen hatte. Wäre schon peinlich gewesen, hier als Einziger erwartungsfroh mit einem Einkaufswagen herumzuspazieren.

Wir versuchen zwar noch, einen Grund herauszufinden für die hiesige Menschenansammlung, finden aber nichts außer einem benachbarten McDonalds und weiteren Fast-Food-Einrichtungen. Möglicherweise finden am nahen Strand der Lagune weitere Freizeitaktivitäten statt und die Menschen machen hier nur Pause auf dem Weg zur direkt an der Autobahn gelegenen Bahnstation. Wir lassen das Rätsel ungelöst und machen uns auf den Weg nach Cadiz, es gibt ja nichts Lebenswichtiges einzukaufen.

Trubel um die Kathedrale von Cadiz

Vor der Einfahrt in das schon erkundete Parkhaus am Hafen von Cadiz habe ich mir eine Umrundung der Altstadtinsel per Auto vorgenommen, was angesichts der immer entlang der Uferlinie führenden Straße nicht besonders schwierig sein sollte. Außer einem schönen Blick auf die Gartenanlagen an der Front zur Laguneneinfahrt ist sie aber nicht besonders spannend und trotzt wegen diverser Baustellen hauptsächlich verkehrstechnische Aufmerksamkeit ab. An der Westseite wird es dann noch etwas belebter wegen der Stadtstrände, was einem vor uns fahrenden Mopedfahrer fast zum Verhängnis wird. Wir haben jetzt zwar einen ungefähren Überblick über die Ausdehnung der Altstadt, eine Erkundung macht aber wie überall auch hier in Cadiz nur zu Fuß Sinn.

Das Parkhaus ist ziemlich voll, anscheinend fordert auch hier der freie Sonntagnachmittag seinen Tribut. Allerdings laufen schon wieder seltsam gekleidete Menschen umher. Vielleicht haben wir ja einen Feiertag übersehen. Wir schlendern erst einmal in Richtung Kathedrale und lassen uns in einer der Bars auf einen Kaffee nieder. Einige der Tische sind noch mit Großfamilien besetzt, anscheinend hat das Mittagessen lange gedauert. Dementsprechend genervt sind auch die Ober. Unseren Café können wir zwar ergattern, aber die deutliche Unfreundlichkeit führt bei Lore erstmals seit Langem wieder zur Trinkgeldverweigerung.

Wir fühlen uns nach der vergangenen Woche leicht besichtigungsmüde und schmieden keine besonderen, führergesteuerten Pläne. Im Vergleich zu Cordoba oder Granada gibt es nun auch keine richtigen kulturhistorischen Sensationen zu bestaunen. Wir wollen daher lieber einen kurzen Blick in die Kathedrale werfen und dann ein weiteres Mal einfach ziellos durch die Altstadt schlendern.

Der imposante Barockbau empfängt uns innen in kühlem Grau und gedämpftem Licht. Gleich hinter der Eingangstür steht jedoch wieder ein Ticketschalter. Selbst wenn dessen Zweck nicht klar ersichtlich ist, haben wir heute keine Lust zu einer weiteren Spende an die katholische Kirche und verzichten auf eine weitere Besichtigung. Die empfohlene Turmbesteigung fällt für Lore sowieso flach, ich verspüre ein deutliches Brennen an den Laschen meiner Schuhe und verzichte ebenfalls. Es wird sich zeigen, dass die unprofessionelle Vernachlässigung des unmittelbaren Fußbereichs beim Sonnenschutz ebenso wie bei Ohren und Haaransatz zu unangenehmen Teilverbrennungen führen kann, die das Gehen unlustig machen können.

In Cadiz geht der Karneval noch weiter: Carnaval Chiquito ist keine Banane

Wir schlagen uns in die Altstadtgassen und finden auch gleich eine kleine Bäckerei, die uns mit frischem Brot für das morgige Frühstück versorgt. Die Apfeltaschen lachen uns auch an. Sie stellen sich als Schinken-Käse-Hörnchen heraus und hätten eigentlich erwärmt werden sollen, wie wir später bei Spaniers sehen werden, schmecken aber trotzdem gut. Ein paar Meter weiter verstopft ein kleiner Volksauflauf die schmale Gasse. Eine in barocke Gewänder gekleidete Musikertruppe hat anscheinend ihre Fußgängerzonendarbietung beendet und genießt noch den abflauenden Applaus. Einige Münzen klimpern. Wir zwängen uns unter Entschuldigungen vorbei. Kaum wieder frei, sehen wir aber in der leicht bergauf strebenden Gasse ganze 200 Meter weiter ein ähnliches Hindernis.

Anscheinend haben wir den Sonntag der Straßenmusiker erwischt. Als nächstes lauschen wir dem Gesang einer Gruppe Stierkämpfer. Angesichts der einheitlichen Kostümierung der Sänger beschleicht uns allmählich ein eigenartiger Verdacht, obwohl der Karneval im katholischen Spanien eigentlich doch parallel zu unserem verlaufen sollte. Auf dem nach mehreren Schieben und Drücken doch erreichten Marktplatz wird die Vermutung zur Gewissheit. Hier tummelt sich noch eine Vielzahl weiterer, jeweils gleich kostümierter Gruppen und auch das sich durchschiebende Volk hat sich teilweise in Verkleidungen geworfen. Die Mülleimer quellen über von leeren Bierflaschen und Plastikbechern, viele Menschen haben bereits Mühe, ihre Plastikbecher mit Cuba Libre oder Wein so balancieren, dass wenigstens noch ein Teil nicht auf der Straße landet.

Hier wird eindeutig wieder oder immer noch Karneval gefeiert. An jeder Ecke, vor jedem dritten Schaufenster steht eine jeweils gleich kostümierte Gruppe und gibt einen a-capella-Gesang zum Besten, der angesichts der häufigen Lacher des umringenden Publikums wohl ausgefeilte Spottverse beinhaltet. In Bayern würde man Gstanzln dazu sagen. Danach wird getrunken und mit dem Publikum weitergescherzt, bevor man zur nächsten Ecke weiterzieht. Die Künstler müssen dabei durchaus Reaktionsfreudigkeit beweisen. Einmal öffnet sich urplötzlich eines der typischen Balkonerkerfenster über der Gasse und ein verwuschelter und ergrauter Seebär mit ausgefranstem Bart und grobwollenen Pullover erscheint und brüllt etwas hinunter, das wir natürlich nicht verstehen. Er ist selbst schon eine Figur, die direkt der Bounty-Verfilmung von 1930 entsprungen sein könnte, obwohl offenbar nicht kostümiert, sondern eher die Verkörperung des wohl nicht durch Reichtum beglückten Ureinwohnertums. Diesen Hintergrund wird uns auch eine später daheim gesehene Magazinsendung zu Cadiz bestätigen: Wir durchwandern ein Gebiet, das bei uns daheim beschönigend "strukturschwache Region" benannt wird, so dass einige der von uns leider unverstandenen Szenen durchaus auch als Galgenhumor bezeichnet werden könnten.

Carnaval Chiquito: Gruppen von Bänkelsängern an jeder Straßenecke

Der sich zum Gaudium des Publikums entspinnende Dialog ist jedoch auch ohne Worte zu verstehen. Der Drohung mit einem Kübel Wasser folgt ein verständnisheischender Spontanvers von unten. Die Sprache des Gastlandes nicht zu verstehen oder wie in meinem Fall aus fetzen von Französisch und Italienisch höchstens erahnen und radebrechen zu können, macht nirgends Spaß. Hier aber wird sie zum Manko und ich schwöre mir, beim nächsten Besuch in Cadiz wenigstens ein grundlegendes Sprachverständnis mitzubringen. Das ist ein Straßenkarneval, dem ich stundenlang zugucken könnte, wenn ich nur ein Wort verstehen könnte. Hier geht es um Sprachwitz, hier werden mit Wort und Kostüm die Dinge aufs Korn genommen, die ein ganzes Jahr auf der Seele liegen. Hier ist alles in Bewegung und traditionelle Musik wird in moderne Sketche umgemünzt. Keiner schreit Helaus oder Alaafs und der Lacher muss nicht mit einem Tusch abgerufen werden.

Es gibt quasi alles, römische Gladiatoren, wandelnde Notrufnummern, arabische Fürsten und Sklavenhorden, die vier Tenöre oder personifizierten Katzenjammer, Piraten und Cowboys. Ein einziges, großes Stadtfest, bei dem man herumstreunen kann und sich seine Sensationen selbst sucht, mit offenbar wesentlich politischerem Touch und ohne Kamellen. Quasi ein offenes Songwriter-Festival an allen Ecken.

Nachdem wir niemanden fragen können, wird das Rätsel erst später daheim gelöst werden, und selbst mit Hilfe des Internets nur unter Schwierigkeiten. Wir sind mitten im Carnaval Chiquito gelandet, ohne es zu wissen (hat uns ja auch keiner gesagt). Während zum Höhepunkt des eigentlichen Karnevals auch in Cadiz definierte Gruppen, die Comparsas und Chirigotas in einer Art Wettstreit und wohl auch in einem Faschingszug mit solchen Darbietungen gegeneinander antreten, wird die Stadt heute, am Sonntag nach Karneval tatsächlich zur offenen Bühne für freie Gruppen, die außerhalb dieses Rahmens einfach nur ihre Spottverse unters Volk bringen wollen. Quasi Räuberfasching, wenn ich alles richtig verstanden habe und entsprechend werden diese Gruppen auch als "Illegale" bezeichnet. Das gefällt mir ja gleich doppelt und wir werden dem Papst doch nicht petzen, was hier mitten in der Fastenzeit vor sich geht.

Im Ergebnis müssen wir aber die geplante, gemütliche Stadtbesichtigung auch hier auf später verschieben. Ein Durchkommen ist ohnehin kaum möglich und es macht viel zu viel Spaß, einfach dem Treiben zuzuschauen. Ein später gelesener Kommentar, der Carnaval Chiquito wäre eine gute Gelegenheit, Cadiz in Feierlaune in wesentlich ruhigerem Ambiente zu erleben, lässt erahnen, was hier los ist, wenn wirklich Karneval gefeiert wird. Einen Rucksack sollte man dann wohl besser daheim lassen.

Am Wegesrand findet sich noch ein asiatischer Supermarkt, der von den Kindern betrieben wird, weil die Alten wohl beim Feiern sind. Der ist Lores Traum, weil sie hier neben dem fehlenden Handspülmittel (wir wollen die Geschirrspülmaschine eigentlich nicht benutzen) hier sicher alles zu finden wäre, was sie bisher vermisst oder mühsam gesucht hat: Ein Aufsatzfilter, Haushaltskerzen, jegliche günstige Gartenausrüstung. In der angrenzenden Bar erstehen wir auch noch Eier und ein paar Scheiben Schinken für die abendlichen Schinkennudeln zu Hause. Und schließlich spuckt ein Geldautomat auch noch 500 Euronen am Stück aus, nachdem sich Lore im zweiten Anlauf doch noch an die im Urlaubsfeeling vergessene Geheimzahl erinnert.

Die brauchen wir, um unsere Rechnung im Hotel Cabo Roche zu bezahlen. Wir möchten dieses Kapitel gleich hinter uns bringen, um nicht später doch noch unliebsame Überraschungen zu erleben. Irgendwie können wir unser Wohnungsglück noch nicht ganz glauben. Während der Heimfahrt formuliere ich schon mal meine Sätze und wappne mich für den Fall, dass ich mich beim Preis doch "verhört" haben sollte. Das war unnötig, wenn auch sprachtechnisch nicht umsonst, ich will ja mein Spanisch schärfen, habe ich heute gelernt.

Der uns einweisende Ober ist zwar nicht da, aber der Barkeeper erkennt mich auch so und übereinstimmend berechnen wir 330 € als Endsumme von 6 Nächten à 55 €. Freudig erleichtert lege ich noch einen Zehner fürs Personal drauf und verabschiede mich in Richtung meiner Schinkennudeln.

Der Schinken hat zwar eher die Qualität von Corned Beef, die Nudeln schmecken aber trotzdem, auch wenn wir sie bei mittlerweile beißendem Wind schon nicht mehr auf der Terrasse genießen können. Die paar Stunden Strandleben haben uns bereits eine merkliche Bräune ins Gesicht und mir eine fühlbare Feuerröte auf die Fußgelenke gezaubert, bescheren aber auch eine sich überfallartig einstellende Müdigkeit. Vollkommene Zufriedenheit schläft gut.

Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten

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Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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