titelbild fenster-gucker reiseblog

Reisebericht zu Andalusien→Nordostandalusien→Conil Cabo Roche

Deutlich besser als sein Ruf im Internet: Abendessen im "La Gondola" in Baeza

Abendessen im La Gondola

Einen langen Tag der Anreise an das erste Ziel unserer Andalusien-Rundreise wollen wir mit einem gemütlichen Abendessen beschließen. Die preisgekrönten Tapas in den verschiedenen Restaurants zu durchforsten, ist uns dafür zu anstrengend. Weil alle Lokale unserer Vorauswahl montags geschlossen sind, entscheiden wir uns für das "La Gondola" am Puls von Baeza unter den Arkadengängen der Plaza de la Constitucion.

Nachdem wir nun neben rechtschaffener Müdigkeit auch ein deutliches Hungergefühl kaum noch ignorieren können, wollen wir uns an die Auswahl eines schönen Plätzchens für das verdiente Abendessen machen. Einige Favoriten hatte ich mir ja diesmal bereits zuhause im Internet zusammengesucht, indem ich aktuelle Bewertungen auf Tripadvisor und qype mit den Empfehlungen unserer zugegeben mittlerweile schon älteren Reiseführern verglichen habe. Damit sollten leidvolle Erfahrungen mit zufälligen Schnellschüssen vermieden werden. Leider wird dieser intelligente Ansatz durch die Wege des Schicksals durchkreuzt, mein Hauptfavorit, das "El Sarmiento", genießt heute seinen sicher verdienten Ruhetag.

Preisgekröntes Tapas-Paradies auch unter den Lauben in Baeza

Während unseres ersten Spaziergangs durch die Altstadt hatten wir ja unseren Ausweichkandidaten für das heutige Abendessen, das "El Arcediano" wenige Meter oberhalb des Hauptplatzes auch noch geschlossen vorgefunden. Mittlerweile ist es fast 20:00 Uhr geworden, so dass noch eine Stunde verbleibt, bis wir uns nach spanischen Gepflogenheiten niederlassen können. Dort liegt aber auch jetzt noch alles hinter geschlossenen Fensterläden in tiefster Finsternis, so dass wir wohl auch diesen Tip für heute wohl abschreiben können. Der Montag scheint nicht nur in Bayern, sondern international einen bevorzugten Ruhetag abzugeben.

Wir schauen also wieder unter die Lauben an der Plaza de la Constitucion, wo sich ein Lokal ans andere reiht, um bereits einen ersten Augenschein vorzunehmen. Gleich am Eck, wo sich die kleine Gasse von unserer Ferienwohnung zur Plaza hinunterschlängelt, finden wir das "La Gondola". In allen Reiseführern noch sehr gelobt, waren aktuelle Stimmen im Netz doch eher verhalten und unterstellten dem Restaurant ein touristisch unterspültes Sortiment. Wie in allen Lokalen an der Plaza sind auch hier die Außentische an der Straße bereits besetzt, man knabbert an Tapas und genießt ein Bier dazu. Der Aufsteller mit Auszügen aus der Speisekarte liest sich gar nicht übel, das Preisniveau ist im Rahmen. An der Türe prangt ein Aufkleber, der einen Preis für die besten Tapas von Baeza im Jahr 2012 bestätigt.

Dieses Bild setzt sich fort, je weiter wir die Lauben abschreiten, nur dass die angebotenen Menüs und Gerichte, vorsichtig ausgedrückt, etwas allgemeiner oder europäischer werden und gegen Ende in eine Dönerbude münden, was nicht zu verdenken ist, nur haben wir heute speziell darauf keine Lust, obwohl Lore ansonsten gerne dafür zu haben wäre. So eine kleine Tapas-Orgie könnten wir uns also bereits jetzt geben und würden sicher auch davon satt. Auf Sicht scheint sich das Sortiment aber oft auf Chips zu beschränken, obwohl dieser Auszeichnungsaufkleber an jeder Türe klebt, was uns zunächst etwas verwirrt und an Effekthascherei denken lässt. Erst bei genauerer Hinsicht klärt sich das Rätsel. Hier wurde jeweils genau ein Tapagericht prämiert, und davon scheint jedes der Lokale eines im Sortiment zu führen, es wird auch beschrieben, welches es jeweils gewesen war.

Am Puls von Baeza: Die Plaza de la Constitucion

Wir lassen uns im Café am Ende der Lauben direkt an der Plaza Espana nieder. Ich bestelle mir ein Bier. Der Zusatz "media", mit dem ich eine größere Einheit beschreiben wollte, wird hier im Gegensatz zu Granada nicht verstanden, aber statt dem kleinen Zahnputzbecher erhalte ich immerhin ein Drittelfläschchen mit Glas. Lores Aperitivwunsch, ein Campari, ist zwar bekannt, hat sich aber noch nicht bis hierher durchgesetzt und wird daher durch einen Milchkaffee ersetzt. Wie es sich gehört, kommen die Tapas hinzu, eine Schale ziemlich guter Oliven und einige Baguettescheiben mit glasierten, gesalzenen Garnelen. Das verschafft uns den Vorteil, virulente Hungergefühle besänftigen zu können und in Ruhe zu überlegen, wie wir unser Abendessen gestalten können, während wir gelassen dem örtlichen Vorabendtreiben zusehen.

Überall trifft man sich auf ein Schwätzchen, während die Fahrradkünstler auf dem Platz immer noch mit Hinterrad-steilfahrend in wichtige Gespräche vertiefte Dorfschönheiten zu beeindrucken versuchen. Mit einsetzender Dämmerung wird es auch zugiger, dafür beginnen Schwalben, Finken und andere Vogelarten einen beeindruckenden Tanz in den noch lichtbeschienenen Regionen über unseren Köpfen aufzuführen. Das klingt trivial, ist es aber nicht, weil sich tatsächlich ganze Schwärme ziemlich plötzlich am Himmel versammeln und lärmen, so dass man doch an Hitchcocks gleichnamigen Film erinnert wird.

Während es langsam dunkel wird, treffen zunehmend auch zwar leger, aber offenbar mit umgehängten Pullovern und Blazern feiner gekleidete Menschen am Platz ein, vermutlich aus den umliegenden Hotels. Es wird also doch langsam zum Halali auf das Diner geblasen. Man trifft sich hier an den Plaza, um dann nach einem Aperitiv zum gemeinsamen Essen weiterzuziehen. Trotz jahrzehntelanger Gastronomieerfahrung wird mir auch hier wieder schwindelig, wenn ich beim Zelebrieren der Longdrinks zusehen muss. Schwungvoll wird aus lichter Höhe von gut einem Meter die Grundlagenspirituose aus der Flasche in das mit Eis gefüllte Glas quasi springbrunnenartig herab geschüttet. Ein steter Strahl, bei dem man fast "Halt" schreien möchte oder auf die Leerung der Flasche vertrauen muss. Aber für ein paar Schlucke Cola oder Orangensaft obenauf bleibt dann doch meist noch Platz.

Nachdem unsere tolle Vorplanung mal wieder trickreich ausgebremst worden ist, müssen wir improvisieren. Wir sind uns einig, am Platz zu bleiben. Für weitere Erkundungsgänge fehlen uns die Kraft und auch die Lust. Schon auf Sicht hatte das "La Gondola" die eindeutig speziellste oder wenigstens lokal bezogene Speisekarte aufzuweisen, während sich die anderen Lokale mehr in einer gesamteuropäischen Allerweltsebene bewegten, ohne deshalb preislich besonders attraktiver dazustehen. Außerdem gehört das Lokal trotz seines italienischen Namens immer noch zur Liste der allgemeinen Empfehlungen. Also werden wir hier unseren Versuch wagen.

Das Restaurant "La Gondola" in Baeza: Auf Touristen eingestellt, aber dennoch lokaltypisch geblieben…

Pünktlich um Neun streben wir also ins "La Gondola", als hätten wir nie ein anderes Ziel gehabt. Der Vorraum hinter den Lauben hat schon mal einen rustikalen, gemütlichen Charakter mit einer kleinen Bar in der Mitte und mit dunklem Holz verkleideten Wänden. Nur ein einsamer Gast sitzt am Tresen, die Vorabendgäste und Tapa-Genießer sitzen noch draußen auf der Terrasse.

Ein wenig auf dem falschen Fuß überraschen wir den Ober also schon , er geleitet uns aber sofort zu den Milchglastüren neben dem Tresenbereich, öffnet und schaltet das Licht im Speisesaal ein. Der kleinste Tisch hinter der dortigen Tresenfortführung ist zwar auch für fünf Personen gedeckt, aber für uns gemütlich versteckt genug. Sehr nett werden wir in gebrochenem Englisch nach unserer Herkunft gefragt und erhalten daher eine deutsch-spanische Speisekarte. Die ist nach meinen Erfahrungen mit spanischen Gerichten ziemlich gut übersetzt, schön gestaltet und bietet eine ausgewogene Auswahl. Nur auf den Trick, den Trockenfisch Bacalao, welcher nicht unbedingt zu unseren Lieblingen gehört, mit "Kabeljau" zu übersetzen, fallen wir nicht mehr herein, selbst wenn es sachlich nicht falsch ist.

Neben einer Auswahl an lokal kolorierten Fleisch- und Fischgerichten werden auch Tapas als gemischte Platte angeboten sowie eine wochentäglich wechselnde Liste an Großmutters Hausmannsgerichten, die dankenswerterweise auch vor Kutteln nicht zurückschreckt. Montags allerdings gibt es Eintopf, wonach mir jetzt nicht der Sinn steht. Lore entscheidet sich für einen Lachs auf Weißweinschaum, ich stürze mich auf die Spezialitäten des Hauses und ordere die Schweinelende à la Gondola.

Bis das Essen kommt, haben wir noch Zeit, uns umzusehen. Der nicht zu große Saal mit sechs größeren Tischen wirkt im Vergleich zum urigen Vorraum eher modern. Die rötliche Grundfarbgebung mit Ockertönen erinnert mich fatal an mein letztes eigenes Lokal, wie Lore mit einem abwartenden Grinsen bestätigt nach dem Motto: "wird er es merken?". Nur die etwas zusammenhanglose Bildergalerie wäre unter ihrer Fuchtel auch gerade ausgerichtet aufgehängt worden, was sie aber in fast jedem Lokal zu bemängeln hat.

Bald wandern zwei anspruchsvoll, aber nicht übertrieben dekorierte Teller an unseren Tisch, denen anzusehen ist, dass wir dieses Lokal nicht hungrig verlassen werden. Meine Lende würde ich eher als hervorragend schmeckendes und punktgebratenes Filet definieren, dessen feine Sauce mit Rosinen und Nüssen hervorragend schmeckt und mir sehr wohl ein Spezialitätengefühl vermittelt. Lores Lachs und seiner Weißweinsauce geht es ebenso, die Garnelen als Draufgabe wandern auf meinen Teller, weil sie zu faul zum Auspapierln ist. Die Kartoffeln könnten heißer sein, dafür ist das Gemüse breit gefächert und knackig genau auf dem Punkt. Wir speisen glücklich, es gibt nichts zu mäkeln weder am Preis noch an der Qualität.

…und gutes Beispiel für oft seltsame Bewertungskritik im Internet

Das "La Gondola" war nicht auf meiner Favoritenliste gelandet, obwohl in allen meiner Reiseführer empfohlen, weil sich einige aktuelle Bewerter im Internet über dessen touristische Orientierung mokiert haben. Darüber diskutieren wir, während wir eine der absolut besseren Mahlzeiten unserer Andalusienurlaube einnehmen. Wie sich später herausstellen wird, hätten wir bei den Alternativen möglicherweise eine noch ambitioniertere oder lokaltypischere Speisekarte zu kaum höheren Preisen vorgefunden, wobei wir die Qualität ja nicht mehr überprüfen konnten. Ein Lokal aber nur deshalb abzuqualifizieren, vielleicht auch aus beleidigter Erfahrung langjähriger Besuche in weniger touristisch angehauchten Zeiten, weil es sich in Anbetracht von Kundschaft und direkter Konkurrenz eben auf die Klientel Ausländer mit entsprechend gestalteten Speisekarten einstellt, erscheint uns in Anbetracht von genossener Qualität und Service äußerst unfair.

Schon wegen seiner Lage unter allen anderen Lokalen an der Plaza de la Constitucion mag das Gondola nicht unbedingt der Geheimtip in Baeza sein. Es bietet aber immer noch eine solide, preislich angemessene und lokal ambitionierte Küche, die sich auch dem Touristen gegenüber fair verhält und erklären möchte, was sie zu bieten hat. In unseren Augen und gerade angesichts anderer Erfahrungen ist dies kein Manko, sondern eher der gut gelungene Versuch, eigenen Anspruch auf Touristen und deren Bedürfnisse zu übertragen.

Ich vermute auch, dass es in einem gastronomisch derart vom Tourismus abhängigen Bereich wie Baeza nicht unbedingt lukrativ sein könnte, sich in der Sonne des Geheimtips abzuarbeiten. Umso mehr freut es mich als sprachlich unversiertem Ausländer, eine Karte in meiner Sprache präsentiert zu bekommen, die im Gegensatz zu vielen wirklichen Brennpunkten des Fremdenverkehrs sorgfältig übersetzt und gut gestaltet ist.

Wir vergeben also 100 Punkte, sind glücklich, endlich ein erstes Abendessen in Andalusien zur vollsten Zufriedenheit genossen zu haben und bald zahlen zu dürfen. Das ist nämlich gar nicht so einfach, weil neben uns ein Achtertisch spanischer Touristen Platz genommen hat und wir an deren Bestellverhalten ermessen können, dass wir echt ganz kleine Fischchen sind. Das ist uns aber wurst. Für heute haben wir genug, selten genug gab es schon für den Anreisetag vier Artikel zu schreiben. Bevor wir am Tisch einschlafen, steigen wir die wenigen Meter zur Casa del Seise hinauf und versuchen zu realisieren, dass unser Urlaub jetzt begonnen hat.

Eigentlich wollten wir ja erst morgen herausfinden, wo wir eigentlich gelandet sind…

Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten

Vorhergehender Artikel

Renaissancemuseum vor toller Kulisse in Baeza

Baeza bietet authentisches Kleinstadtleben im Zentrum und gleich daneben Palazzos in malerischer Altstadt mit schöner Aussicht vom Balkon als Dreingabe

Nachfolgender Artikel

Wohnen im Zentrum: Morgens frisches Brot

Selbstversorgung aus der Bäckerei in Baeza ist zumindest spannender als erwartet, weil auch hier der Aufbackofen das Handwerk ersetzt. Dasselbe gilt für deutsche Kaffeegepflogenheiten

Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

[Sitemap] [Werbung schalten auf diesen Seiten] [Kommentar abgeben]