Reisebericht zu Andalusien→Costa de la Luz→Cadiz

Cadiz, laut, quirlig, begeisternd

Der desolate Zustand unserer Ferienwohnung treibt uns nach Cadiz, um auf andere Gedanken zu kommen. Die fast Lagunenstadt empfängt uns mit buchstäblich ohrenbetäubenden, quirligem Stadtleben und fast versehentlich erleben wir unseren ersten Tapas-Abend in einer Arbeiter-Bar am Hafen, bodenständig und kaum schlechter als in beworbenen Empfehlungen.

Die aufkommende Frustration angesichts des desolaten Zustands unserer gebuchten Ferienwohnung muss dringend bekämpft werden. Spätnachmittags machen wir uns auf den Weg nach Cadiz in der Hoffnung, dort andere Glanzlichter zu entdecken und uns eine neue Wertschätzung für unseren hiesigen Aufenthalt zu verschaffen. Dem Prospektmaterial unserer Vermieter habe ich eine neue Fahrvariante entnommen, die uns die Variante entlang der Küste erspart und schon südlich von Chiclana auf die Autobahn führt. Allerdings führt auch hier die schnelle Abfolge von Kreisverkehren bald zum Verlust jeder Orientierung, so dass wir uns Fixpunkte wie Baumärkte oder Restaurants am Wegesrand merken müssen für die Rückfahrt.

Anfahrt nach Cadiz erinnert an die Annäherung der Lagunenstadt Venedig von Mestre aus

Richtung Cadiz hat sich der Verkehr im Vergleich zur heutigen Anfahrt etwas beruhigt. Stressfrei rollen wir im allgemeinen Trott mit in Richtung San Fernando. Die Autobahn schlängelt sich, teilweise tiefer gelegt, mitten durch die hohen Wohnhäuser der Cadiz vorgelagerten Lagunenstadt, wir fühlen uns wie auf dem Mittleren Ring in München. Einzelne Gewerbegebiete tauchen auf, auch hier entdecken wir eine Filiale unseres beliebten Hypermercado Carrefour. Wir merken ihn vor für spätere Tage.

Ziemlich abrupt verschwindet nach diesen Gewerbezonen jede Bebauung und wir befahren die schmale Landzunge, welche die Lagune zum Meer hin abschließt und uns zur Hauptstadt Cadiz führt. Bahnstrecke, Autobahn und ein schmaler Strandstreifen teilen sich in die gesamte Breite dieses Verbindungsstrangs. Würde man einem Italiener hier die Augenbinde abnehmen, er würde sich auf der Zufahrt von Mestre nach Venedig wähnen. Gleich am Ende des schmalen Grats beginnt auch das Stadtgebiet von Cadiz, quasi auf der Nagelkuppe eines nach hierhin ausgestreckten, dünnen Zeigefingers. Allerdings haben wir deren Ausdehnung unterschätzt. Auf einem schnurgeraden, zwei mal dreispurigen Boulevard durchqueren wir zuerst kilometerweit Ampel für Ampel die Neustadt, bis der Torbogen der Puerta di Tierra den Eingang zur Altstadt ankündigt, die sich auf der äußersten Landspitze befindet und so die Öffnung der Lagune zum Meer hin bewacht.

Der empfohlene Parkplatz am Hafen ist einfach zu finden, man folgt einfach dem Verkehrsfluss gegen den Uhrzeigersinn und fährt dann die gut ausgeschilderte Abfahrt in die Tiefgarage hinunter. Nachdem ringsherum vom Wasser begrenzt, ist die Altstadt nicht besonders groß. Wir beschließen, einfach etwas in diesem überschaubaren Areal herumzustreifen, bis wir eine passende Lokalität zum Abendessen gefunden haben. Lore hat ja aufgrund unguter Erfahrungen in Granada während der langweiligen Stunden der Herfahrt schon einige Lokale im Führer hergesagt und auswendig gelernt.

Ohrenbetäubendes Stadtleben in der Altstadt von Cadiz

Zurück an der Erdoberfläche genießen wir im Park am Canalejo erst einmal die Aussicht auf den Hafen. Unter einer großen Mimose hat ein Obdachloser sein Asyl aufgeschlagen. Wir überlegen, ob Lores bald ausgedient habender, blauer Trolley hier vielleicht eine sinnvolle, letzte Aufgabe bekommen könnte, bevor er sinnlos in den Müll wandert. Eine der Tapas-Bars am stadtnahen Rand der Anlage kommt mir bekannt vor, so dass wir dort zuerst bei einem Espresso vorfühlen. Der war immerhin nicht schlecht und die Schiefertafel mit dem Angebot ist durchaus reichhaltig, auch wenn wir die Hälfte nicht übersetzen können.

Mittlerweile dunkelt es deutlich und wir machen uns über die kleine Gasse neben der Bar auf den Weg in die Altstadt. Ziemlich hohe Häuser streben beiderseits der schmalen Wege nach oben, aber die gelbe Straßenbeleuchtung taucht alles in ein freundliches Licht, es wirkt mittelalterlich. Sogar die nach Hauptverkehrsweg aussehende, kreuzende Gasse einige Schritte weiter oben lässt höchstens ein Auto und zwei Fußgänger parallel zu, die Autos scheinen hier jedoch verbannt zu sein.

Dennoch herrscht ein ohrenbetäubender Lärm, ganz anders als die beschauliche Ruhe in Cordobas Altstadt oder dem städtischen Treiben in Granada. Ganz Cadiz scheint um diese Zeit unterwegs zu sein. Selbst der berühmte "Corso" in italienischen Ortschaften ist ein Altersheim gegen das gedrängte Treiben, in dem wir auf der Stelle verschluckt werden. Man fühlt sich zurückversetzt in die große Pause auf dem Hof der Volksschule. Leicht konsterniert lassen wir uns einfach im Strom mittreiben.

Viele Geschäfte ziehen an uns vorbei, auch hier mangelt es nicht an Modeboutiquen, den Auslagen der großen Filialketten und natürlich Schuhgeschäften. In einer Buchhandlung, die sich später auch als führer-empfohlen herausstellen wird, erstehe ich in einem Anflug von Vorahnung eine großmaßstäbige Karte von Cadiz und Umgebung. Auch ein jetzt noch ofenwarmes Brot für das morgige Frühstück wandert einige Meter weiter in den Rucksack. An der Plaza San Francesco herrscht Volksfeststimmung, allerdings nur, weil die dort versammelte Kinderschar einfach eines veranstaltet, während die Eltern in Gruppen beieinander stehen und diskutieren. Die beiden Cafés sind erkennbar von den Betuchteren bevölkert, die das quirlige Treiben als Realtheater verfolgen.

Authentische Tapas statt Restaurantempfehlungen am Hafen von Cadiz

Dennoch ist uns immer noch kein Restaurant untergekommen, das entweder unserem Bauchgefühl oder Lores auswendig gelernten Vorgaben aus den Reisführern entsprechen sollte. Einige Kaschemmen wohl, die aber nicht gerade für den ruhigen Abschluss eines ziemlich stressigen Tages taugen dürften. Kreuz und quer tasten wir uns wieder rückwärts. In einigen Nebengassen wird es jetzt schon dunkler, einen Döner oder eine Art Fish and Chips hätten wir uns immerhin schon besorgen können. Tut es für den Notfall auch, witzeln wir. Der große Platz vor der Kathedrale öffnet sich plötzlich vor uns. In den dortigen Lokalen herrscht auch reges Leben und mindestens zwei von ihnen stünden auf der Empfehlungsliste, doch erscheint es uns hier zu mondän. Vor einem weiteren Lokal weiter unterhalb hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Der Name sagt uns nichts, aber wir haben wohl das aktuelle In–Lokal aufgespürt. Offensichtlich fehlt es uns hier aber auch am Outfit.

Am Ende landen wir wieder am Hafen, wo sich mittlerweile ein weiteres Pärchen in unserer bereits zu einem Espresso beehrten Bar eingefunden hat, das sich munter durch die Tapaskarte wühlt. Das schafft Vertrauen und wir wollen es ihnen gleichtun. Es wird sich zwar herausstellen, dass der Lokalname lediglich einer anderen Empfehlung ähnelt, trotzdem werden wir nicht schlecht bedient. Allerdings gelingt es erst nach mehreren Anläufen, ein Glas halbwegs trockenen Weines zu ergattern, was in einem Führerlokal natürlich nicht passieren könnte. Trotzdem tut die junge Dame ihr Bestes, unsere Wünsche zu verstehen und reagiert nicht genervt, als erst das dritte Probierglas Lores Gefallen findet.

Ich bestelle mir einen Reis mit Meeresfrüchten, Lore aus Sicherheitsgründen erst einmal ein kleines Schnitzel vom Kalb mit hausgemachten Pommes. Bis wir unsere Teller geleert haben, ist der Konkurrenztisch jedoch schon bei der dritten Runde angelangt und das führt anscheinend dazu, dass der Koch den Tag entnervt aufgibt und entschlossen die Tafel und alle sonstige Hinweise auf ein Speisenangebot entfernt.

Immerhin brauchen wir so keine weiteren Übersetzungsversuche zu veranstalten und einigermaßen gesättigt sind wir auch so. Auch die jetzt ankommende, spanische Kleinfamilie bekommt gerechterweise nichts mehr und wird mit je einer Cola als letzte Runde abgespeist. Während einem zweiten, alkoholfreien Bier und zwei noch gnadenhalber gewährten Espressi kommen Lore und ich auf des Pudels Kern und diskutieren unsere wohnungsmäßige Zukunft in der bevorstehenden, zweiten Urlaubswoche.

Wir verfransen uns leicht bei der Rückfahrt aus der Altstadt und fahren auf engen, betongesäumten Strassen den Hafen entlang, aber am Ende führen hier alle Wege wieder zum Ausgang aus dem Flaschenhals der Nehrung. Die Route durch das Kreisverkehrslabyrinth von Chiclana finden wir dagegen sicher. Zur angekündigten Frustrationsbetrinkung auf unserer Terrasse mit dem Blick auf den tristen Dschungel vor der Tür haben wir aber keine Lust mehr. Angesichts neu gefassten Mutes zur aktiven Veränderung unserer Wohnsituation werden wir vielmehr versuchen, eine Nacht im Schimmelpalast halbwegs schnell zu überstehen, um uns gleich früh morgens auf die Suche nach neuen Ufern zu machen.

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Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten