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Reisebericht zu Madeira→Funchal→Altstadt Restaurant

Musterbeispiel der bodenständigen Hausfrauenküche Madeiras in Funchal: Einfallslos mitten im Paradies der Frischwareneinkäufer

der Markt am Platz vor dem Fort ist verschwunden

Erneut verzweifeln wir an der bodenständigen Gastronomie Madeiras. Obwohl wir uns über die Qualität der angebotenen Gerichte als solches nicht beschweren können, bleibt Zubereitung und Auswahl vor allem der Beilagen zumeist erschreckend ideenlos, obwohl der umgebende Garten Eden der Insel ein Paradies kreativer Variationen inspirieren sollte. Immerhin treffen wir im Restaurant "Jaquet" auf ein Genie an Sprachkunde und Gewürzauswahl.

Nach der überraschenden Begegnung mit der Madonna de Fatima vor der Kirche Sao Paolo wähnen wir uns im Glückstag für neue Entdeckungen und sehen das als gutes Omen an für unser Vorhaben, heute in Funchal die heimische Gastronomie statt den eigenen Herd zu beanspruchen. Unsere Freundin Regina hatte von ihrem letzten Madeira-Besuch das Restaurant "Jaquet" empfohlen, das wir bei unserem ersten Besuch der Hauptstadt wenige Meter unterhalb des Mercado dos Lavroradores ja bereits gefunden hatten, damals jedoch nicht gerade zur Essenszeit. Die aber bricht jetzt praktischerweise an.

Familienbetrieb Restaurant Jaquet zeigt Genie bei Sprachen und Gewürzen, weniger bei einer kreativen Gestaltung der Speisekarte

Die Sonne ist nämlich untergegangen, und gleich ist es auch wieder richtiggehend kalt geworden in Funchal. Lore drängt bibbernd zum alsbaldigen Lokalbesuch. Die gespannte Warterei hat auch tatsächlich hungrig gemacht. Vorher möchte ich noch schnell einige Fotos von der Esplanade bei Nacht machen, hauptsächlich, um sie später mit unseren Bildern von früher vergleichen zu können. Würde ich mir als alter Münchner Fotos von der Neuhauser Straße vor dem Bau der Fußgängerzone ansehen, an die ich mich gerade noch schemenhaft erinnern kann, wäre der Unterschied wohl kaum größer.

Dann streben wir aber im Schweinsgalopp zu "Jaquet" Das Lokal ist noch gähnend leer und der Chef scheint nicht gerade erfreut, sich von der lautstarken Haiti-Benefizgala im Fernsehen unseretwegen lösen zu müssen (die katastrophale Verwüstung der Karibik-Insel hatte gerade stattgefunden, die Madeiras steht unmittelbar und noch unwissend bevor). Der Gastraum im schlauch-ähnlichen Tiefparterre, der sich hinter der kleinen Bar am Eingang zur offen einsehbaren Küche hin öffnet, bietet also genügend Platzauswahl. Aber immerhin rattert er uns die Speisekarte in einer verständlichen deutschen Fassung mit franco-anglisierten Versatzstücken so herunter, dass wir einigermaßen folgen können. Dieses Sprachgewirr entspricht auch genau der Besetzung, die sich in dem "überwiegend von Einheimischen besuchten" Lokal alsbald versammelt haben wird. Portugiesische Sprachfetzen konnten wir jedenfalls trotz der aktuellen Nebensaison nicht heraushören. Mit zunehmender Herausforderung seines Sprachtalents wird der anfänglich etwas bärbeißig wirkende Wirt auch leutseliger. Wir entscheiden uns zugunsten eines Degenfischs für zwei, weil wir die Trockenheit des ansonsten zur Wahl stehenden Thunfischs fürchten.

Lores Missfallen erregt die Neigung des augenscheinlichen Wirtsehepaares ("Familienbetrieb"), sich mit Vorliebe am jeweils anderen Ende des Arbeitsplatzes, also Tresen an der Eingangsbar oder offen einsehbare Küche, durch lautes Gequassel in die dortige Tätigkeit (Kochen oder Zeitung lesen) einzumischen. Das bedeutet nämlich logischerweise zugleich das unbeaufsichtigte Zurücklassen der in Pfanne und Friteuse brutzelnden und kurz darauf rauchenden Lebensmittel.

Der Garten Eden an frischen Produkten zeigt sich leider nur auf dem Markt, nicht aber in der bodenständigen madeirenser Gastronomie

Dennoch kommt ein ausgezeichneter, mit reichlich Knoblauch und später gefundener Chilischote garnierter, in handliche Filetstücke zerlegter, kross gebratener Fisch daher. Dazu wird Gemüse gereicht einschließlich Kohlrabikürbis, mit dem wir ja schon daheim Bekanntschaft geschlossen haben, sowie natürlich Kartoffeln. Alles jedoch wie immer zerkocht und ungewürzt. Obwohl wir hier wie auch in den bereits besuchten Häusern zuvor durchaus gut speisen, ist es ein Jammer, zumindest der allgemein erschwinglichen (und dabei im Vergleich zu Bayern keineswegs billigen), bodenständigen Gastronomie bei ihrer verbreiteten Einfallslosigkeit zuzusehen, obwohl sie bezüglich der Auswahl an frischen Zutaten eigentlich im Garten Eden leben würden. Die bodenständige Küche der Region beschränkt sich scheinbar darauf, verschiedene Fisch- oder Fleischsorten mehr oder weniger gut gewürzt auf den Grill zu hauen und gedünstetes, ungewürztes Allerlei dazuzugeben, meist in Form von Kartoffeln, gelben Rüben, Chou-Chou und grünen Bohnen. Die Hochform ist erreicht, wenn zumindest alle Gemüsevariationen gereicht sind. Als einzige Alternative der Grundversion werden die gekochten Kartoffeln noch in Stücke geschnitten und frittiert. Damit ist der Rahmen gastronomischer Fantasie aber auch schon abgesteckt.

In Punkto Strassen-, Tunnel-, und Häuserbau ist ihnen durchaus einiges eingefallen, den Madeirensern in den letzten 20 Jahren, vermutlich auch in dieser Reihenfolge. Zum Thema Gastronomie müssen wohl auch hier erst noch ein Jahrzehnt Kochsendungen folgen, um das Feuerwerk auch auszunützen, das der eigene Garten ihnen bietet. Traurig, aber wahr. Die versteckte Bloggerin, die mir unseren Supermarkt in Ribeira Brava ans Herz gelegt hatte, ist durchaus im Recht: Die beste madeirensische Küche gibt es daheim am Herd.

Bevor sich Jaquet endgültig in seinem mittlerweile in allen Facetten zu bewältigenden Sprachengewirr verliert, zahlen wir lieber. Vor dem wärmenden Abluftgitter eines Kühlaggregats an der Straße gibt es noch eine Verdauungszigarette und dann fahren wir gemächlich nach Hause. Unter dem mitternächtlichen Sternenhimmel stellt sich noch eine letzte unlösbare Frage für heute: Ich muss daheim unbedingt nachschlagen, ob das Sternbild neben dem Orion tatsächlich die Giraffe ist. Von hier unten aus glaube ich eindeutig ein solches Tier am Himmel erkennen zu können. Nachdem ich zwanzig Jahre meines Lebens gebraucht habe, zumindest den Orion am Nachthimmel vielleicht identifizieren zu können, hoffe ich jetzt nach dem vierten Bier auf eine zukünftige Karriere als Sternenhimmel–Navigator.

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© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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