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Reisebericht zu Madeira→Calheta→Paul da Serra Rabacal

Rabacal: Das El Dorado für Wanderungen auf der Hochebene Paul da Serra

Levadawanderungen in Rabacal Madeira

Wir unternehmen unsere erste Levada-Wanderung für diesen Urlaub bei Rabacal auf der Hochebene Paul da Serra, wo wir schon vor zwanzig Jahren die Klassiker der Insel begangen haben. Wegen aufziehendem Wetter fahren wir dieses mal aber nicht zum Forsthaus und Reitertunnel hinunter, sondern gehen entlang der Levada do Paul, die uns traumhafte Ausblicke auf die Vorgebirge nahe der Küste um Calheta und den glitzernden Atlantik bietet. Wie auf einer Sprungschanze bringt uns die neue Straße nach Arco di Calheta an die Küste zurück.

Bei aller Freude über Sonnengenuss auf unserer Terrasse drängt es mich, das schöne Wetter auch aktiv auszunutzen. Hinter der Felskante hoch über unseren Köpfen strahlt nach wie vor ein blauer Himmel, und dort zurückversetzt wenn auch zwei Etagen höher liegt Rabacal inmitten der Hochebene Paul da Serra. Schon zwanzig Jahre zuvor war dieser Ort als El Dorado für Wanderer gepriesen und wir hatten einen ganzen Tag in der Region verbracht. Jetzt bietet sich ein Wiedersehen an.

Mittlerweile führen viele Wege von Calheta auf die Hochebene Paul da Serra und nach Rabacal

Unsere Straßenkarte bietet eine direkte Auffahrt von Calheta aus in die Hochebene an. Sie wird aber der Markierung nach als besserer Pfad eingestuft, und auch die Reiseführer äußern sich in dieser Richtung. Wir entscheiden uns daher für die anscheinend bessere Straße von Prazeres aus. Die Fahrt bis zu diesem Nachbarort ist ja gut durchtunnelt, wie wir seit gestern wissen. Eine dritte Fahrtmöglichkeit werden wir eher zufällig bei der Rückfahrt entdecken. Zwanzig Jahre vorher mussten wir noch von Funchal aus mühsam die Küstenlinie entlang zuckeln, um uns dann von Ribeira Brava aus über Serpentinen zum Encumeada hinauf zu schrauben.

Leider erwischen wir in Prazeres die falsche Ausfahrt und erkunden erst mal den bei unserem gestrigen Ausflug noch nicht besichtigten Teil der Ortschaft, aber letztlich finden wir doch die richtige Ausfahrt aus dem Dorf. Die "Strasse" stellt sich als blank gefahrener Kopfsteinpflasterweg heraus, der an vielen Stellen mit Teerflicken notdürftig ausgebessert wurde. Sollte der als "Pflasterweg" beschriebene Aufstieg von Calheta aus auch so ausschauen, nur eben gar nicht geteert, haben wir jedenfalls die richtige Wahl getroffen. Wir schrauben uns aufwärts durch die Eukalyptuswälder und sind schon bald auf der Hochebene angekommen.

Endlich der Aha-Effekt aus verblassten Erinnerungen. An dieses Landschaftsbild kann ich mich erinnern. Damals lag es allerdings geheimnisvoll bedrohlich im Nebel, während heute ein strahlender Sonnenschein weite, einsame, grüne Matten wie im irischen Hochland beleuchtet. Dazwischen verläuft wie ein nachlässig hingeworfenes, schwarzes Band in willkürlichen Kurven die teilweise hochgelegte Straße, deren weiße Betonpfosten und gelbe Markierungen die einzigen Farbtupfer im grünlich-braunen Landschaftsbild darstellen. Unter uns schimmern der weite Ozean und die Küstenlinie mit Calheta wie in einer fremden Welt.

Nach kurzer Zeit erreichen wir Rabacal, schon von weitem erkennbar einfach an der plötzlichen Ansammlung von Autos mitten im Nichts. Wir parken unseres bei seinen Brüdern und Schwestern auf einem Plateau links der Strasse. An dessen Kante bricht die Ebene steil nach unten weg und gibt den Blick auf einen tiefen Kessel frei, der sich weiter hinten in ein grünes Tal zum Meer hin öffnet.

Vom Forsthaus in Rabacal führen die Klassiker der Levadawanderungen Madeiras weg

Eigentlich hatte ich an eine Wanderung dort unten gedacht, einem der Klassiker unter den Levadawegen Madeiras. 1991 waren wir mit unseren Freunden die vom Parkplatz aus gut erkennbare, schmale und enge Straße zum Forsthaus von Rabacal hinunter gefahren, was schon damals angesichts gelegentlichem Busverkehrs ein kleines Abenteuer mit Hupverpflichtung vor jeder Kurve dargestellt hat. Dem heutigen Tourismus ist diese Verbindung wohl nicht mehr gewachsen und durch eine Schranke versperrt. Ein Pendelbus bringt die Wanderer an das Ziel ihrer Wünsche, vermutlich eine vernünftigere Lösung als ständiges Rangieren und Hupkonzerte.

Vom Forsthaus aus waren wir zu den Risco-Wasserfällen gelaufen, wo diese sich zumindest im Winter in ein idyllisch gelegenes, grün eingerahmtes Wasserbecken ergießen. Der Weg dorthin gleicht aber eher einer Autobahn für Fußgänger denn dem gewohnten, schmalen Pfad neben dem plätschernden Lauf der Levada. Dies dürfte seine Bekanntheit begründen, denn es erfordert vom Forsthaus aus wenig mehr als einen kurzen Spaziergang ohne weitere Ausrüstung, um diesen Ort kennen zu lernen. Anspruchsvoller und daher attraktiver ist daher sicher der zweite Klassiker, der Weg zu den 25 Fontes oder gleich eine Gesamterkundung des Gebiets über die Levada da Rocha Vermelha.

Wir hatten damals andere Pläne. Nach Besichtigung der Risco-Wasserfälle wollten wir durch den so genannten Reitertunnel gehen, der irgendwo unter unserem jetzigen Standort auf dem Parkplatz das Zentralgebirge durchquert. Dort werden in großen Rohrleitungen die Wasseransammlungen der Inselnordseite zur Verteilung in die Levadas der Südseite geleitet. Der übermannshohe Tunnel ist mit 800 Meter Länge eines der längsten Levadabauwerke aus der Zeit vor dem europäisch finanzierten Straßenbau, und das Abenteuer wollte ich mir nicht entgehen lassen. Tatsächlich war es damals auch ein Erlebnis, durch den nur ab und zu spärlich beleuchteten Tunnel zu gehen, wir fühlten uns wie Schweizer Offiziere, die die legendären Heimatschutzanlagen der Eidgenossen erkunden.

Von dessen Südeingang aus stiegen wir dann nach Loreto ab, einem damals kleinen und zur Hälfte verlassenen Weiler oberhalb von Calheta. Heute erinnere ich mich nur noch, damals die Bekanntschaft eines Jungstieres gemacht zu haben, der plötzlich mitten auf dem von Macchia fast zugewachsenen Pfad stand. Der war von unserem plötzlichen Erscheinen so sehr schockiert, dass er sich mit einem Satz in das Dornengestrüpp verabschiedete, bevor wir unsererseits nur darüber nachdenken konnten, wie wir diesen sich anbahnenden Wegekonflikt lösen könnten. Trotz deutlicher Erleichterung über diese einfache Lösung tat uns dann das Vieh schon wieder leid, sich nur wegen und sie Flanken aufkratzen zu müssen.

Dieser Weg wird heutzutage in keinem Führer mehr beschrieben, obwohl er sich vermutlich bis Calheta an der Küste fortsetzen ließe. Allerdings ist jetzt auch die Bebauung schon so weit die Hänge herauf gekrochen, dass die Tour vielleicht allzu bald in eine Dorferkundung übergehen würde.

Schöne Aussichten auf die Südküste entlang der Levada do Paul

Aber von der nördlichen Meerseite her ziehen bereits wieder bedrohliche Wolkenformationen in unsere Richtung herauf, so dass wir den Kessel von Rabacal heute lieber auslassen, nachdem es auch schon fast Nachmittag geworden ist. Gottlob haben wir hier ja genug Auswahl und entscheiden uns wetterkonform: Immer auf der Sonnenseite gehen, und auch auf der plätschert ja auch eine Levada.

Wir dackeln also entlang der auf der Südseite der Hauptstraße angelegten Levada los. Der Weg ist unspektakulär, leicht matschig und im Gegensatz zu vor 20 Jahren gut besucht. Will heißen, auch hier, auf einer angesichts der umliegenden Klassiker eher als Nebenweg zu bezeichnenden Wanderung begegnen uns anstelle eines einsamen Stiers etwa zehn Naturfreunde, dafür treten die unspektakulär beiseite und grüßen meistens höflich. Als Einstieg zum Test unserer wandermäßigen Leistungsfähigkeit ist er gut geeignet und der Ausblick auf die Küste ausgesprochen schön. Wir können Arco di Calheta von oben identifizieren, dann Calheta und dazwischen das Plateau, unter dessen Klippe wir selbst zu residieren glauben. Mittlerweile kommt auch die Sonne wieder heraus und gestattet uns eine Brotzeit, wie wir sie uns wünschen: Sonne im Gesicht, Sitzfelsen in der richtigen Anordnung, also Mann oben, Frau seitlich unten und gut geschnitzte, essfertige Stücke zureichend. Unter uns Aussicht auf grüne Landschaft und glitzerndes Meer satt.

Als Einstieg in unser demnächst erfolgendes Comeback als Wanderfreaks genügt uns das zunächst. Wir wissen, das sind Wege, die auch Lore mit dem Handicap ihrer Schnaufschwäche noch bewältigen kann. Auch die mehr wetterbezogene, also zufällige Auswahl des Weges war richtig. Nachdem wir wieder am Parkplatz ankommen, ist der Kessel von Rabacal bereits in dichtem, fast undurchdringlichen Nebel versunken . Da unten ist kaum noch irgendetwas zu unterscheiden außer dem Regenbogen, der sich wie ein Tor über dem Tal bildet. Was den guten Hobbywanderer in Madeira auszeichnet, ist vor allem, zu wissen, wann er welchen Weg gehen kann, um Spaß zu haben! Wir können uns auf die Schultern klopfen. Auf dem nachträglich zu Recht verschmähten Weg zum Forsthaus schleicht jetzt auch ein weißer Kleinbus herauf. Für ein nächstes Mal wissen wir also, es gibt ihn, den Pendelbus, halleluja. Mehr Wandererfolg kann man sich kaum wünschen, für den ersten Tag.

Sprungschanze ins dörfliche Gewirre: Die Direttissima von Rabacal nach Arco di Calheta

Die geplante Weiterfahrt zum Encumeada-Pass mit nachfolgendem Besuch unseres Lieblings-Supermarkts in Ribeira Brava wird uns leider durch eine Straßensperrung verwehrt. Deswegen will ich gleich die überraschend ausgeschilderte Strasse nach Arco di Calheta ausprobieren, die auf der Karte gar nicht auffiel. Sie ist ausweislich des Schildes von der EU gesponsert worden, muss also neu sein. Neu geteert und angelegt ist sie wirklich, nur hat das Geld für die Serpentinen nicht gereicht und sie führt daher zu Lores und unserer Bremsscheiben Erschrecken nahezu senkrecht steil bergab. Ich empfinde es spannend, quasi auf einer Sprungschanze hoch über dem unten glitzernden Meer zu fahren, aber das Bodenblech auf Lores Seite ist nach den zehn Minuten, die wir gerade mal brauchen, um unten bei den ersten Behausungen anzukommen, praktisch durchgetreten. Atemberaubend ist es jedenfalls. Leider muss ich versprechen, dort zumindest in ihrer Begleitung nie wieder zu fahren.

An der Häusergrenze oberhalb der Küste angekommen mache ich den Fehler, wieder nach Gefühl fahren zu wollen und folge dem intuitiv vernünftigen Straßenverlauf in Richtung Calheta. Ein späterer Blick in die Karte beweist uns, dass wir durch einfachen Linksschwenk in eine vermeintliche Sackgasse nach zwei Minuten daheim gewesen wären. So erleben wir noch eine ungewollte Rundfahrt wieder in Richtung Prazeres, in deren Verlauf wir bereits nach kürzester Zeit keine Ahnung mehr haben, wo auch nur ungefähr wir sind. Schnell reiht sich ein Ortsteil an den anderen, eine Kurve an die nächste und wir verlieren völlig den Überblick, wie viele wir schon hinter uns gebracht haben. Zufällig schaffen wir es dann doch, wenigstens in Calheta-Ort wieder zur Küste zurück zu stoßen und wissen seitdem auch, wo sich das berühmte Kunstmuseum "Casas das Mudas" befindet, falls es mal regnen sollte.

Unsere Terrasse im Beach Studio taugt zwar tagsüber als Strandersatz, nachts herrscht dennoch Winter

Weil wir schon hier gelandet sind, kaufen wir auch im hiesigen Supermarkt unsere letzten Zutaten für das Abendessen ein. Es wird natürlich wieder etwas mehr, als der Einkaufszettel ursprünglich gefordert hatte. Am Sandstrand unter der (nur) hier immer noch scheinenden Sonne bewegen sich immerhin zwei Badegäste. Sogar im schmeichelnden Licht der untergehenden Sonne wirkt der Strand verlassen, irgendwie deplaziert hinter der künstlich aufgetürmten Mole. Lore betrachtet den Mangel an Strandleben mit einer leichten Wehmut, aber dass wir hier keinen Badeurlaub verbringen, hat sie natürlich auch gewusst.

Dafür strahlt die im Meer versinkende Sonne daheim auf der Terrasse die aufziehenden Wolken von unten an und bietet nochmals ein richtiges Schauspiel. Danach gibt es Garnelen in Piri-Piri-Petersilienbutter geschwenkt an den noch nicht durchgefaulten Avocadostückchen neben Poncho-Cocktailsauce, dazu lokalen Prosecco Brut. Als Beilage restlichen Salat mit jetzt ausgefeiltem Roquefort-Banana-Dressing. Ein Traum, den kein Restaurant besser anrichten könnte. Weniger traumhaft für mich, dass Lore sich beim Rommé für die Pfanne von gestern ansagegemäß rächt.

Schon wieder traumhaft: ich sitze jetzt hier und schreibe Tagebuch auf einer Veranda weit über dem Meer, das ich noch schwärzlich vor meiner Nase erahnen kann. Der Wind rauscht im Meer und in den Bananenplantagen direkt neben und unter mir. Hinter mir plätschert das Wasserfällchen vom Berg herab. Mein Schreibtisch ist eingesäumt von Lores Lichtinstallationen, die wir aus den mittlerweile leer gewordenen Wasserflaschen gebastelt haben. Meine Erfinderkerze am Schreibtisch zuhause ist eine wahre Armenleuchte dagegen.

Schwierig dagegen die Umstände. Ganz so warm ist es nun auch nicht. Die Wolldecke wärmt gut und gegen die Fußkälte hilft der Läufer, den wir aus dem Studio zweckentfremdet haben. Meine Pelztierjacke hält mich gut warm. Nur der Besuch der stündlich fälligen Toilette ist einfach nervig. Wegen meiner Leibesfülle braucht die wandermäßig korrekte Zwiebelkleidung exakte Anordnung: Unterhose und untergezogene Leggins passen gerade noch unter die Jeans, damit der Gürtel dann noch geschlossen werden kann. Sweat-Shirt und Pelztierjacke müssen drüber, sonst geht′s nicht. Bei Rückkehr an den Platz muss dann noch die Wolldecke gut abschließend um die zweckentfremdeten Liegenauflagen gewickelt werden. Dann ist alles korrekt und ich kann so stundenlang ausharren und schreiben, bis ich halt wieder aufs Klo muss…

Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten

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Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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