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Reisebericht zu Madeira→Funchal→Curral das Freiras

Curral das Freiras: abgeschiedenes Bergdorf vor atemberaubender Naturkulisse im Nonnental

Blick von der Eira do Serrado auf die umgebende Boca de Corrida

Die atemberaubende Naturkulisse von Curral das Freiras und den Aussichtspunkt vom Miradouro Eia do Serrado hatten wir schon zwanzig Jahre zuvor bewundert. Das Wiedersehen birgt manche Überraschung, der spektakulären Szenerie unterhalb der Boca de Corrida aber kann die Zeit nichts anhaben. Sogar unsere Pflichteinkäufe an Mitbringseln können wir in diesem abgelegenen Nest mitten im Nonnental komplett erledigen.

Der Tag beginnt ausgesprochen freundlich. Lore hat ihre Kreuzschmerzen noch nicht überwunden, so dass wir zunächst die Sonnenwärme auf unserer Terrasse nutzen und heute auf eine weitere Wanderung verzichten. Die heimliche Hoffnung, eine kleine Walfamilie draußen auf dem Meer beobachten zu können, wie es eine unserer Vorgängerfamilien im Gästebuch vermerkt hatte, erfüllt sich aber leider nicht.

Curral das Freiras: spektakuläre Aussicht vom Miradouro Eira do Serrado…

Erst zu späterer Stunde brechen wir auf nach Curral das Freiras, dem so genannten Nonnental. Der 500 Meter tiefe Kessel liegt so versteckt im Hinterland von Funchal, dass früher angeblich die Nonnen wie auch Normalsterbliche dort Schutz vor Piratenangriffen gesucht haben. Lange Zeit war er nur zu Fuß erreichbar. Jetzt führt der Weg dorthin schon innerhalb Funchals direkt nach der Autobahnabfahrt über steilste und zudem belebte Vorstadtsträßchen, was Lores Verspannungen nicht gerade abbaut. Erst nach den Stadtgrenzen wird es ruhiger, aber nicht weniger serpentinig und damit anfällig für gefährlichen Gegenverkehr. Kurz vor dem neu gebauten Tunnel, der in Direttissima in den Ort und den Kessel hinabführt, zweigt ein kleines Sträßchen links ab, das noch einen Anhaltspunkt dafür bietet, unter welchen Mühen man sich früher dort hinunter schrauben musste, selbst mit dem Auto.

Am Aussichtspunkt Eira do Serrado hoch über dem Ort Curral haben graue Wolken gerade die Sonne verdrängt, als wir dort ankommen. Die Temperatur sinkt fühlbar nach unten. Lore will sich lieber warm halten und die dem dortigen Hotel angebundene, riesige Touristen-Kitscheria besuchen anstatt die hundert Meter vom Parkplatz zum eigentlichen Miradouro hinaufsteigen, so dass ich mich ohne sie auf den Weg mache. Oben bin ich tatsächlich ganz allein und nachgefolgt ist mir auch keiner. Das erlaubt mir, einem dringenden Bedürfnis nachzugeben und sozusagen vom Dach der Welt zu pinkeln (nur ins Eck, keine Sorge).

Die Aussicht über den tiefen Kessel ist atemberaubend auch für Menschen, die in der Hinsicht schon einiges gesehen haben. Die Bergkette der Boca da Corrida auf der Felswand gegenüber liegt noch im strahlenden Sonnenschein, der dortige Wanderweg zur Boca da Cerro ist deutlich zu sehen, ein Traum. Tief unter mir liegen Curral das Freiras und die umliegenden Dörfer, so als besichtige man eine Spielzeugeisenbahn, die tief ins offene Kellergeschoß eines Treppenhauses verbaut ist. Auch die Häuschen sehen aus wie die Faller-Häuser, die wir als Kinder zwischen unsere Spielzeuggleise gebaut hatten. Um alles sehen zu können, muss man sich tatsächlich über das Geländer beugen, so steil fällt der Fels ab. Ich genehmige mir noch eine genüssliche Staun-Zigarette, dann reiße ich mich widerstrebend los, damit Lore nicht so lange im Auto bibbern muss.

Zurück auf dem Parkplatz stelle ich erschrocken fest, dass sie gar nicht da ist. Sie hat zu ihrer Freude die größte Touristeria von ganz Madeira entdeckt. Immerhin wartet sie schon an der Kasse, als ich sie dort aufstöbern kann, hat aber eigentlich immer noch nicht alles besichtigt. Zumindest aber hat sie Espressotassen gefunden und die fälligen Mitbringsel für Haushüter, Verwandte etc. sind auch schon eingekauft. Also war auch für sie der Besuch hier oben ein Erfolg.

… und gemütliches Dorfleben trotz renovierter Kirche im Kessel des Nonnentals

Durch den neuen, großen Tunnel sind wir quasi im Bergumdrehen im Dorf und können die Szenerie jetzt noch mal umgedreht aus der Mausperspektive betrachten, zunächst noch mit Sonne im Gesicht bei zwei Bicas und einem Nusskuchen auf dem deutlich sichtbar von Touristen lebenden, jetzt aber wenig besuchten Dorfplatz. Der Fußweg von der Eira do Serrado herab ist gut zu sehen, aber natürlich sehr schattig. Im Gegensatz zu den Höhenwegen mit spektakulären Aussichten auf den umliegenden Gebirgskämmen erscheint er aber eher langweilig. Ansonsten hat das Dörfchen nicht viel zu bieten. Früher waren hier eine Dorfstrasse mit wenigen Läden und die Kirche ums Eck, jetzt sind es eben zehnmal so viele Häuser und einige neue architektonische Betonwunder im Zentrum. Wegen meiner damals hier erstmals praktizierten Jahresgebetsstunde zum Todestag meiner ersten Frau Sonja möchte ich die Kirche unbedingt sehen, und zum ersten Mal in Madeira ist diese hier sogar geöffnet. Hin und wieder ist das Schicksal auch einsichtig.

Ich hatte sie dunkel schummrig, klein und mit wenigen, etwas kitschigen Gemälden in Erinnerung, vielleicht lag das aber auch an meiner damaligen Gefühlslage. Die Glasfenster schimmerten in einem beruhigendem Rot und Blau. Jetzt ist das Gotteshaus zwar immer noch klein, wirkt aber nicht mehr so, weil neu und für meinen Geschmack unangemessen aufgehellt getüncht. Ein riesiger Scheinwerfer strahlt von der mit weiß lackierten Holzbrettern verschalten Decke auf den Altar. Zudem läuft penetrante Dauermusik vom Band. Nicht sehr kontemplativ jedenfalls. Etwas enttäuscht verlasse ich diese gehütete Erinnerung, aber letztlich habe ich mir nur selbst und erneut bewiesen, dass das Auffrischen zwanzig Jahre alter Reminiszenzen fast immer ins Leere geht.

Nach einem kurzen Schlendergang durch das Dorf machen wir uns vom Acker und beschließen, den Rest des Nachmittags in Funchal zu verbringen, wo wir schon mal wieder in der Gegend sind. Lore kommt das zupass, weil sie in der Touristeria Einkaufsblut geleckt hat und in der Hauptstadt noch ein paar Wühltische unberührt blieben beim letzten Besuch. Die Anfahrt erfolgt mehr gefühlsmäßig, im Zweifel dem Bus hinterher, aber eigentlich muss man ja immer nur bergab fahren. Schon bald sind wir wieder in unserem Lieblingsparkhaus am Hafen angelangt. Noch wissen wir nicht, dass eines der seltsamsten spontan erlebten Kulturevents unseres gesamten Reiselebens auf uns wartet, das jede selbstmitleidige Enttäuschung als neue Lebensdauererinnerung aufwiegen wird.

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Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


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Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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