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Reisebericht zu Andalusien→Sevilla→Stadtviertel

Am Ufer des Guadalquivir in Sevilla: Trendiges Strandleben neben Stierkampf und Obachlosen

nicht die Maestranza, kein Stierkampf, eher Flamenco

Am Ufer des Guadalquivir in Sevilla trennt sich die Spreu vom Weizen. Pappkartons von Obdachlosen auf der Veranda einer leeren Markthalle neben trendigen Strandbars. Trotzdem finde ich hier ruhige Plätze, das städtische Strandleben am Fluß zu beobachten und zu genießen. Vor der Maestranza geht es endlich noch zu wie auf dem roten Teppich von Cannes: In der Arena steht eine große Aufführung bevor.

Auf dem Weg in Richtung Calle Serpia komme ich tatsächlich am ursprünglich angepeilten Palast der Gräfin von Lebrija vorbei, für eine weitere Besichtigung bin ich aber nach dem langen Tag zu überspannt. Nachdem ich mich ja eigentlich auf Entdeckungsreise bezüglich der Wurzelkirchen sevillaner Hermanidades befinde, mache ich noch einen letzten Versuch, die schöne Capilla de San José doch auch von innen betrachten zu können, aber der ist am frühen Sonntagnachmittag natürlich vergeblich.

Strandleben und Obdachlose in Sevilla am Ufer des Guadalquivir

Durch das Arenalviertel, vorbei an den schon gestern anstelle eines Flohmarkts vorgefundenen Taschennegern stromere ich zurück zum Guadalquivir. An der Brücke Isabella II, vor einem kurzen Abstecher in die Triana, fällt mir eine neue Markthalle auf, die Fassaden im Gegensatz zu den alten Gemäuern im Arenal ganz in Glas und Stahl gehalten, sonntags natürlich leer.

Allerdings ist sie vollkommen leer, keinerlei Aufbauten lassen auf irgendein Marktgeschehen schließen oder auch auf andere Aktivitäten wie Partys, Konzerte oder Ähnlichem. Auf der sonnendurchfluteten Terrasse, die sich zum Fluss hin öffnet, mag man sich gut Liegestühle vorstellen. Stattdessen zeugen Reihen von Pappkartonbetten davon, wer sich offensichtlich nächtens hier aufhalten muss.

Die Betuchteren treffen sich einige Meter weiter unten. Hier dröhnt Partymusik aus den Lautsprechern über die Freiflächen, aus kleinen Pavillons gibt es Cocktails und Kaffee, der Einzug Berliner Strandbars steht offensichtlich kurz bevor. Es muss nur noch der Sand aufgeschüttet werden. Zumindest gerade jetzt nicht so mein Ding, Sevillas Jugend lässt es sich hier aber ganz offensichtlich gut gehen und nutzt die zur Zeit noch nicht so selbstverständlichen Sonnenstrahlen. Einige Schritte weiter stehe ich am Ufer des hier breit und gemächlich plätschernden Guadalquivir, den wir erst einige Tage zuvor quirlig an seiner Geburtsstätte in der Sierra de Cazorla besichtigt hatten.

Alternatives und hippes Strandleben am Ufer des Guadalquivir

Hier geht es etwas geruhsamer zu als in den Szenebars oberhalb. Einige Pärchen liegen in der Wiese am Ufer und leben Frühlingsgefühle, andere genießen nur träge die Sonne. Die Uferpromenade dient als Sportfläche für Jogger, Radler und normale Spaziergänger wie mich. Das verschiedene Bewegungstempo führt zu denselben Animositäten wie überall sonst auf der Welt. Meine mittlerweile etwas lahmer werdenden Füße empfinden die oft grob gepflasterten Kopfsteine als leichte Zumutung, den rücksichtslos darüber flitzenden Rennradlergruppen im notwendigen Neon-Style wünsche ich hämisch eine frohe Rückenmassage.

Es wird Zeit für eine letzte Denkpause. Unter der Isabellabrücke lasse mich auf einer Steinbrüstung nieder, wo die Füße gemütlich baumeln können und die Aussicht über die Uferflächen genügend Beobachtungen liefert, wie sie auf Münchens Leopoldstraße kaum vergnüglicher sein könnten. Schon die zwischenmenschlichen Zerwürfnisse, die eigenwillige und neugierige Hunde in der unter mir ausgebreiteten Gemengelage stiften, können mich von meinem sicheren Platz hier oben oft zum Lachen bringen. Eine junge Mutter erscheint mit ihren beiden Töchtern, alle im traditionellen Flamenco-Outfit aufgebrezelt, und nutzt die Pause vor oder nach dem offensichtlichen Auftritt zu einem ausgedehnten und in den Variationen der Posen sehenswerten Casting. Hinter mir versuchen sich einige Jungen an den Fundamenten der Isabella-Brücke in der Kunst des Brücken-Climbing. Urlauberfamilien sammeln sich wie ich zur Pause. Schmunzelnd erinnere ich mich an meine eigenen, letzten Familienurlaube mit den Eltern, wo man an solchen Plätzen seine ersten, unbefangenen Flirt-Tests machen konnte, nach wenigen Minuten nervtötend gestört von überschwänglichen Annäherungsversuchen der eigenen Eltern, von denen man sich ja mit voller Absicht in gebührender Entfernung platziert hatte.

Ich könnte es hier noch stundenlang aushalten. Jetzt neigt sich aber schon der Nachmittag seinem Ende zu, ich bin rechtschaffen müde von einem ausgedehnten Besichtigungstag und will meinen éFreigangé auch nicht bis Ultimo ausreizen. Ich werde mir am Wegesrand zur Metrostation Puerta de Jerez noch die Maestranza, die hiesige Stierkampfarena anschauen und mich dann auf den Heimweg machen.

Wie auf dem roten Teppich in Cannes: Arena-Feeling des Stierkampfs vor der Maestranza in Sevilla

Auf dem breiten Paseo de Colon tobt der Verkehr. Mit lautem Gepfeife versuchen die Verkehrspolizisten, dem Gewirr Ordnung zu entlocken und die Falschparker zu verscheuchen. Die Maestranza rückt erst langsam in dieses Bild, die Plaza de Toros liegt etwas zurückgesetzt hinter einer Häuserzeile. Das weiß gekalkte Oval mit seinen Zugangsbalustraden im ersten Stock, den ockerfarbenen Simsen und dem massiven Eingangstor unter dem zwischen zwei Türmchen auf Säulen ruhenden Balkon wirkt eher wie eine mexikanische Hazienda, im Vergleich zur Draufsicht von oben fast unscheinbar.

Ich hätte ja gerne einen Blick in die Arena riskiert, der durch die Hauptpforte bequem möglich gewesen wäre. Den immer mehr werdenden Horden, die auf der anderen Straßenseite anscheinend irgendwelchen Nebeneingängen zuströmen, mag ich mich anschließen und suche mir einen schattigen Ruheplatz im kleinen Park am Rande des Paseo Colon. Erst von hier aus bemerke ich die Flotte an Übertragungswägen, die rings herum abgestellt sind.

Auch in dem abgezäunten Vorplatz der Arena regt sich immer mehr Leben. Stapelweise werden Sitzkissen angeschleppt und zur Ausgabe vorbereitet. Vor der Pforte wird unter lautem Einweisegebrüll ein Kamerakranwagen postiert, der wohl später durch das Tor soll. Der Besuch im Inneren erfordert offenbar mindestens Sonntagsstaat, wenn nicht gar Tracht. Es wird wohl noch einiges zu sehen geben vor der Maestranza. Ich mag aber nicht mehr warten, bis der rote Teppich ausgerollt wird und lasse mir durch die Nebengassen zur Puerta de Jerez treiben.

Hier hat sich jetzt das Reich der selbsternannten Parkplatzanweiser ausgebreitet und unter den fabrikähnlich wirkenden Atarazanas, ehemaligen Schiffswerften hallen deren Trillerpfeifen wieder wie auf einem Fußballplatz. Eine kleine, nicht mal im Führer erwähnte Bruderschaftskapelle im selben Stil wie das Bauwerk der Maestranza könnte den diesem Brauchtum gewidmeten Spaziergang abschließen, aber sie ist natürlich geschlossen. So bewundere ich noch die bläulich holländisch anmutenden Majolikafliesen an der Kirchenfassade des Hospital de la Caridad, die ich morgen mit Lore zusammen besichtigen werde.

Auf der Heimfahrt in der Metro bekomme ich ein etwas schofeliges Gefühl. Laut schwatzend zeigen sich alle Spanierinnen um mich herum die Beutestücke ihres Sonntagsbummels, während ich lediglich das Foto eines Schaufensters im Gepäck habe, in dem für Lore interessante Bastlerstücke ausgestellt waren. Andererseits kann ich ja auch nichts dafür, dass der Laden geschlossen war. Zum Ausgleich besorge ich immerhin noch gekühlte Getränke an der Tankstelle und bemühe mich um einen angesichts dieses Gewichts möglichst schlurfenden Gang, als ich nach Hause komme. Der wird auch bedauernd quittiert. Hauptsächlich ist Lore aber froh, einen gemütlichen Sonnennachmittag auf unserer Garagenvorplatzterrasse verlebt zu haben, während ich quasi ganz Sevilla in einem Tag erwandert habe. Morgen werde ich ihr stolz dessen Highlights präsentieren, und der Real Alcazar wartet ja als letztes Schwergewicht der Sensationsliste auch noch auf seine Entdeckung.

Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten

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Die Sozialstation Caridad wirkt bis heute und in der Kirche finden sich ausdrucksvolle Bilder, die die Vergänglichkeit irdischer Reichtümer darstellen. So kritischer Barock ist selten.

Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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