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Reisebericht zu Andalusien→Sevilla→El Arenal Hospital de la Caridad

Hospital de la caridad: Eindringlicher andalusischer Barock in der Sozialstation

Soziale Komponente beim kauf von Tabakwaren

Das Hospital de la Caridad ist ein weiteres, schönes Beispiel der Verbindung von Sevilla damals wie heute. Sozialstation ist es immer noch, glänzendes Beispiel für die Geschichte des andalusischen Barock ebenfalls, auch Wurzel einer weiteren sevillaner Bruderschaft. Allein das Gemälde "Finis gloriae mundi" zeigt soziale, christliche Gläubigkeit als Schlag ins Gesicht des katholischen Prunkgehabes neben einem protzigem Barockstil, der in seinen Einzelfiguren außergewöhnliche Ausdruckskraft verbreitet.

Unseren letzten Tag in Sevilla werden wir erstmals unter einem strahlend blauer Himmel verbringen, schönes Abschiedsgeschenk. Den gestrigen Sonntag hatte ich ja mit einem einsamen Gewaltmarsch durch die Stadt verbracht, heute will Lore wieder mit in das Geschehen eingreifen. Bevor wir uns dem letzten touristischen Schwergewicht der andalusischen Hauptstadt widmen, dem königlichen Alcazar, möchte ich aber erst noch meine gestrige Tour dort wieder aufnehmen, wo ich sie abgebrochen habe, beim Hospital de la Caridad.

Zunächst fehlt die Caridad: Keine soziale Komponente beim Kauf von Tabakwaren

Zunächst aber muss ich meinen Tabakbestand wieder auffüllen und lerne dabei eine weniger soziale Komponente kennen. Beim Herauszerren der nächsten 50€-Scheine aus dem Geldgürtel für den laufenden Geldbestand ist mir eine fingernagelgrosse Ecke bei einem Schein abgerissen, den will ich jetzt natürlich als erstes unters Volk bringen. Obwohl ich die Zigarettenhändlerin noch mit Zusatzbestellungen diverser Briefmarken zu verwirren versuche und die angerissene Ecke bei Übergabe des Scheins wie zufällig aus der Hand fallen lasse, bemerkt sie das Handicap und verweigert nicht nur tatsächlich die Annahme, sondern lässt auch noch in aufgeregter Diskussion mit ihrem Kollegen die heilige Ecke in ihren Tresen fallen.

Schwierige Diskussionen und Suchmanöver folgen, in die sich natürlich auch die Beteiligten der jetzt angestauten Schlange hinter mir einmischen. Im Ergebnis wird sich mein schlau geplanter Anschlag auf die spanische Notenbank als Schuss in den Ofen herausstellen. Die Ecke wird zwar noch gefunden und samt Restschein zurückgegeben, seinen Austausch solle ich aber gefälligst auf der Bank erledigen, ist das einhellige Statement aller Diskutanten.

Eine solche werden wir allerdings heute nicht mehr finden. Zumindest keine, die meinen Ansprüchen an Weltoffenheit, Größe und sprachlich internationaler Vertrauenswürdigkeit entspricht und zugleich zu dem Zeitpunkt geöffnet hat, an dem Lore mich zwecks abschließender Regelung dieses schwierigen Problems hineinschicken will. Die endgültige Lösung ist letztlich viel einfacher und ausgefuxter. Zu geizig, mir extra deswegen einen Tesafilm zu kaufen, schickt mir der Schutzpatron der Reisenden in Not eine Vision im nächsten, von Versagensängsten geprägten Traum: Auch in Spanien werden Reisverpackungen mit einem Klebestreifen verschlossen, mit dem wird der Geldschein repariert und der nächsten Vermieterin in Conil untergejubelt, die ihn quasi nehmen muss. Der Reis bekommt ein Gummiband. So kann man auch einen Tagesanfang erlebnisreich gestalten, wenn sonst gerade nichts anliegt.

Sozialstation damals wie heute: das Hospital de la caridad

Drei Straßenecken weiter erreichen wir das Hospital de la Caridad. Am Ende eines überdachten Vorplatzes sehen wir den kleinen Auskunftsschalter, wo die Eintrittskarten für die Kirche verkauft werden. Wir lösen unsere Karten und drücken das schwere Holztor auf.

Ein stiller, weiß und ockergelb gehaltener Innenhof mit kleinem Brunnen empfängt uns, umfasst und unterteilt mit schattigen Säulengängen. An den Wänden finden wir wieder die blau gehaltenen Fliesenbilder, die auch die Fassade der Kirche schmücken. Die biblischen Szenen erinnern an Delfter Porzellan, und tatsächlich stammen sie auch aus Holland. Das wundert uns etwas, schließlich verfügen die Andalusier ja selbst über eine beachtliche Tradition bei der Herstellung von Fayencen oder Majolikafliesen.

Wie üblich lassen wir uns erst einmal auf einer der Bänke nieder, um uns mit Hilfe des Führers auf das kommende Barockerlebnis vorzubereiten. Einen kurzen, aber wenig spektakulären Blick in die Hintergänge des Altersheims riskieren wir natürlich, wollen aber auch nicht zu aufdringlich erscheinen. Immerhin beruht die Gründung dieser Sozialstation auf der läuternden Vision eines spanischen Granden, der in seinem wüsten Vorleben angeblich das Vorbild für die Figur des Don Juan abgegeben haben soll.

Barocker Goldprotz nur auf den ersten Blick. Szenische und ausdrucksvolle Figurengruppen im Zweiten

Dieser Vision entsprechend empfangen uns im Sotocoro, dem niedrigen und düsteren Eingangsbereich unter dem Balkon für die Mönche, zwei wirklich eindrucksvolle Gemälde. "Finis Gloriae Mundi" von Valdés Leal zeigt in fast fotorealistischer, drastischer Darstellung, dass auch Päpste und Kardinäle am Ende zu Staub zerfallen in der Rumpelkammer der Geschichte landen, eine in katholischen Kirchen eher seltene Mahnung.

Aus dem Kirchenschiff glänzt uns der erwartete barockene Goldprotz entgegen. Im Gegensatz zu den eher setzkastenartig angeordneten Einzelszenen der Retabels in den Kirchen von Granada beherrscht hier jeweils eine, eher szenisch wie im Theater angeordnete Figur oder Figurengruppe das Altarbild. Und die Ausdruckskraft dieser Figuren hat es tatsächlich in sich, da vergisst man Gold und Protz sofort. Dem leidenden Christus mag man wirklich fast die Hand halten oder auch den mitleidenden Engeln, die ihn umrahmen. Immerhin eine Engelin stemmt sich gegen den morbiden Grundeinschlag. Vollkommen losgelöst schwebt sie beinfrei und einer Can-Can-Tänzerin gleich neben dem Hauptaltar vom Himmel herab und verbreitet die Hoffnung, dass es da oben nicht nur Leid und Kasteiung geben möge.

Auch hier ist natürlich wieder eine der sevillaner Bruderschaften beheimatet. Leider ist aber nicht zu erkennen, was diese zu Ostern in die Kathedrale schleppt, und diese schönen Bilder meiner gestrigen Exkursion hätte ich Lore gerne nochmal gezeigt. So machen wir mit den Kirchen von Sevilla jetzt Schluss und wenden uns der zweiten Hauptattraktion neben der Kathedrale zu, dem Real Alcazar.

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Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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