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Reisebericht zu Andalusien→Sevilla→Altstadt Museo del Baile Flamenco

Lärmendes Leben in Sevillas Altstadt rund um das Flamencomuseum

Sevilla Flamencomuseum Hoyos

Im Flamencomuseum erleben wir sehr authentische und detailversessene Einblicke in die Herkunft und verschiedene Ausgestaltung dieser Kunst wie auch das Leben der Künstler beim Bereisen der Theater dieser Welt. Billige Touristenshows können wir uns nach diesem Besuch jedenfalls sparen, das Erleben des lärmenden Lebens auf den malerischen Plätzen von Sevillas Altstadt zur Siesta steht dem ohnehin sicher nicht nach.

Etwas enttäuscht verlassen wir über den Orangenhof die Kathedrale von Sevilla. Der zuvor dort erlebte Platzregen hat sich zwar zu einem feinen Nieseln beruhigt, was aber unsere Besichtigungslaune auch nicht unbedingt steigert. Der Tag scheint sich eher für museale Aktivitäten anzubieten denn für große Rundgänge im Freien. An solchen Angeboten mangelt es in Sevilla natürlich nicht. Eines wollte ich hier aber unbedingt besichtigen, das Museo del Baile Flamenco von Christina Hoyos, das Flamencomuseum. Es befindet sich ohnehin nur wenige Ecken nördlich der Kathedrale, ist auch über die Mittagsstunden geöffnet und sollte uns auch einen wohltuenden Kontrast bieten zum gerade erlebten sakralen Kauderwelsch.

Eine Kombination aus Flamencoschule, Theater und Museum: Das Museo Baile del Flamenco

Ein Blick auf unsere Karte zeigt, dass die vom Nordostende der Kathedrale wegführende Gasse nach mehren Ecken zum Museum führen müsste, und so machen wir uns auf unseren ersten Weg durch die Gassen von Sevillas Altstadt. Zunächst passieren wir schöne, alteingesessene Straßencafés mit entsprechendem Outfit, schon nach der nächsten Abzweigung wird es aber ziemlich eng, so dass wir entgegen kommenden Autos durch Flucht in die Hauseingänge Platz machen müssen. Erste Zweifel über den richtigen Weg zerstreuen sich aber schnell. Unscheinbar in einer Wohngasse gelegen ist das Museum lediglich durch die aufgehängten Fahnen gut zu erkennen.

Die moderne Glasfront im Erdgeschoß des Altbaus lässt eher an einen Hotelbau denken, an der dazu passenden Rezeption wird aber gerade ein französisches Ehepaar beraten bezüglich der Möglichkeiten des Museums. Das gibt uns etwas Zeit, uns vorzubereiten. Das angebotene Kombiticket, eine Kombination aus Museumsbesuch und abendlicher Flamencovorstellung können wir daher ohne weiteres Nachdenken ablehnen, schließlich werden wir heute Abend auf die Fiesta in unserem Wohnort Mairena gehen.

Allerdings sind wir über diese Entscheidung gar nicht mehr so glücklich, als wir in den Patio hinter der Rezeption gelangen. Hier ist eine kleine Bühne aufgebaut vor einer übersichtlichen Bestuhlung, sehr sympathisch dekoriert, die eine ausgesprochen familiäre Atmosphäre ausstrahlt. Hier hätten wir mit Sicherheit authentischen Flamenco sehen können ohne zusätzlichem Touristendiner und beiläufig dargestellter Show im Zwei-Stunden-Takt, wie sie uns auf den Schautafeln rund um die Kathedrale angeboten werden auch in den so genannten "besseren" Häusern. Mit etwa 15€ wäre der auf den abendlichen Event entfallende Anteil des Tickets auch für hiesige Verhältnisse durchaus günstig ausgefallen.

Andererseits wird erst bei der weiteren Besichtigung auch für uns deutlich, dass dieses Museum sozusagen die selbst gebaute Krönung des Lebenswerks einer der größten Flamencokünstlerinnen des modernen Andalusiens darstellt, Cristina Hoyos, die hier bis heute auch eine Flamencoschule betreibt. An Fotos und Hinweisen auf gemeinsame Zeiten mit Antonio Gades, dem auch hierzulande wegen seines "Carmen"-Films bekannten Carlos Saura und anderen Größen gerade des französischen Films fehlt es nicht. Das bedeutet natürlich auch, dass auf dieser Bühne aktuelle Kunst zu sehen ist und nicht Abklatsch für Touristen.

Wir werden viel über Flamenco lernen und auch über seine verschiedenen Ausformungen im Verlauf dieses Besuchs. Das macht uns deutlich, dass auch in den abendlichen Vorführungen durchaus spezielle Teile dieses Genres präsentiert werden. Wer sich dazu einfindet, sollte also wissen, was er sehen will oder was nicht.

Das Flamencomuseum: Fundgrube für Flamencofans und Lehrstunde für Neulinge

Wir lösen uns von der Vorstellung einer Vorstellung in diesem sympathisch gestalteten Patio und fahren mit dem Lift in den ersten Stock, wo die Ausstellung ihren Anfang nehmen soll. Ein dunkler Gang empfängt uns, führt aber sogleich in ein Separée, in dem ein Video offenbar die Ursprünge des Flamencos erklärt. Zwei junge Japanerinnen kauern dort schon auf der Bank und betrachten die Endlosschleife, nach meinem Gefühl fühlen sie sich eher nicht gestört, sondern erleichtert, nicht mehr allein in der Kammer zu sein. Eigentlich liebe ich solche überfallartigen Einführungen nicht sehr. Das Video ist aber gut gemacht und schon nach einer Minute des Hinsehens erkennt man auch ohne Worte seinen Erklärungszweck: Die Wurzeln des Flamenco aus Bewegungsmustern und Ritualen aus Fernost, dem näheren Orient und auch der Karibik.

Besänftigt und jetzt auch gespannt folgen wir dem Weg zu seiner nächsten Station. Hier sind mehrere Multimediaplätze eingerichtet, die in allen gängigen Sprachen Videos abrufen können über die verschiedenen Stilrichtungen, Figuren, Formen und Stimmungen, die Flamenco abrufen kann. Das ist gut und verständlich gemacht, man könnte sich hier vermutlich stundenlang aufhalten und auf diese Weise auch seinen Flamenco-Abend verbringen, weniger stilvoll als bei einem Diner, dafür aber deutlich aussagekräftiger und umfassender. Ich bin durchaus fasziniert von der vielfältigen Welt, die mir hier gezeigt wird.

Für mich bestand diese Kunstform bisher aus der Erinnerung an eine Aufführung in Madrid, die ich als ganz junger, von Liebeskummer geprägter Heranwachsender in Begleitung leicht spöttischer, aber treu sorgender Eltern besucht hatte, die ich aus eigenem Herzschmerz gut zu verstehen glaubte und seitdem ohne Erfolg wiederholen wollte. Das war offenbar mein Anliegen hinter dem Anspruch, in Andalusien unbedingt eine Flamencovorführung sehen zu wollen. Nach Betrachtung eines Ausschnitts der angebotenen Videos ist mir immerhin klar geworden, dass dieses Konsumdenken eher nicht funktionieren wird.

Lore, die sich bisher auf eben diesen meinen Anspruch verlassen hat, wird zunehmend deutlich, dass das bisweilen sehr schreierische und stakkatoartige Element dieser Tänze nicht unbedingt ihr bevorzugtes Musikelement ist, jedenfalls nicht für mehrere Stunden. Uns beiden wird die ausführliche Auslotung weiterer Stilelemente alsbald zu mühsam und wir geben, wenn auch ehrlich beeindruckt, auf.

Der nachfolgende Raum zeigt in verschiedenen Stationen, wieder gut gemacht, Videobeispiele aus dem Werdegang des Flamenco nach dem zweiten Weltkrieg, wie er mehr oder weniger grotesk die Bühnen der Welt erobert hat. Die damals noch präsente Losung, "die Zigeuner kommen", ist unschwer zu erkennen, dass sich dieses Vorurteil bis heute kaum geändert hat, auch. Erneut aber erschlägt uns die Fülle des Angebots und wir ziehen weiter in die klassische Museumsabteilung.

Hier ist in mehreren statischen "Bildern" die Reisegarderobe des damals gezwungen um die Welt zigeunernden Flamenco-Künstlers ausgestellt. Für Lore, die sich mehr den greifbaren Ideen widmet, ein riesiger Flohmarkt an Bildern und Möglichkeiten, den sie begeistert inspiziert, für mich eben mehr Museum nach dem vorhergehenden Feuerwerk an Darstellungen. So findet aber jeder hier seinen Zugang.

In der folgenden Fotogalerie wird erst allmählich deutlich, dass wir hier inmitten des Lebenswerks einer andalusischen Flamenco-Größe stehen. Auf einmal wird auch ein persönlicher Lebensweg deutlich, ein Zusammenhang mit auch selbst erlebter, aktueller Kunst-Geschichte wird deutlich. Ich beginne zu verstehen, dass wir hier sozusagen beim Gralshüter des Flamencos als reiner Kunstform gelandet sind, auch wenn die Darstellung von dessen Entwicklung wirklich ausgesprochen authentisch ist.

Auch das relativiert sich aber ein Stockwerk höher. Hier sind moderne Malereien und Grafiken zum Thema Flamenco ausgestellt. Einige davon derart selbstironisch und hinterfragend, dass man unwillkürlich lachen möchte, andere wiederum einfach nur gewaltig in der Art und Weise, wie sie ihren Ausdruck bringen. Hier und in der nachfolgenden Tiefe des Basements bekommt man noch einen Eindruck davon, wie und in welchem Ambiente zumindest hier heutzutage Flamenco gelehrt wird.

Wer Flamenco für eine spanische Form von Folklore hält, muss hier nicht unbedingt einkehren. Wer aber Hintergründe erfahren will über eine ziemlich spezielle Ausdrucksform von Gefühl, die ja nicht jedermanns Sache sein muss, oder tatsächlich ganz einfach ein Fan von Flamenco ist, der muss dieses "Museum" gesehen haben, wenn er Ansätze des verstehen Könnens entwickeln will. Das Museum auf Granadas Sacromonte war für uns schon ein erster Ansatz zum Verstehen der Zigeunerkultur in Andalusien, hier findet sich, höchst professionell gemacht, der Anschluss an moderne Zeiten.

Die Siesta in Sevilla brodelt links und rechts der Calle Sierpes

Als wir ins reale sevillaner Leben zurückkehren, scheint immerhin die Sonne, die dunklen Wolken haben sich verzogen. Wir fühlen uns wieder versöhnt mit Sevilla und orientieren uns in Richtung der zentralen Achse der Calle Sierpes. Schöne Altbauten und kleine, maurisch wirkende Kirchen wie San Isidoro liegen am Weg. Die Siesta hat ihren Höhepunkt erreicht, jedes der vielen Lokale ist gut besucht und überall wird fleißig getratscht. Auf dem kleinen Platz an der Calle Cuesta del Rosario finden wir ein freies Tischchen in der Sonne und planen bei einem Milchkaffee den weiteren Verlauf des Tages.

Lore hat nun genug vom ungeliebten musealen Bewundern. Der einzige Flohmarkt, den ich in meinen Führern gefunden habe, "El Jueves", findet, wie der Name schon sagt, immer donnerstags an der Calle Feria statt. Da werden wir aber schon in Conil wohnen. Kleinere Märkte sollen aber auch an der Plaza de la Magdalena oder Duque de la Victoria zu finden sein. Die zehn Minuten dorthin führen ohnehin über die zentrale Einkaufsmeile der Calle Sierpes, so dass jetzt auch für sie etwas zu besichtigen drin sein sollte.

Als höflicher gastronomischer Mensch ist mir etwas unwohl, inmitten des lärmenden Betriebs einen Tisch mit der lächerlichen Zeche zweier Kaffees zu belegen. Überall um uns herum wird gespeist, manchmal nur im Tapas-Format oder mittels größerer Platten für mehrere. Das sieht alles ziemlich gut aus, und ich merke mir das Restaurant Alcaiza zumindest gedanklich vor. Die Ober ertragen unsere touristische Ignoranz mit Fassung, weisen aber die nächste, jetzt bereits warten müssende Kleingruppe unverhohlen auf unseren Tisch als den nächsten frei werdenden. Uns stört es nicht, wir sind mit Regeneration und weiterer Planung fertig und geben dankbar über die genossene Pause die Plätze frei.

Lore ist der Meinung, ich solle mich nicht so haben, womit sie vermutlich Recht hat. Ihren zweiten Ansatz, trotz beginnender Hörprobleme noch nie so viel Lärm auf einem Platz erlebt zu haben, bestreite ich nun aber doch. In Italien geht es zu den Hauptzeiten speziell zum Corso am Abend nicht weniger lautstark zu, behaupte ich.

Lärmendes Leben auf malerischen Plätzen in Sevillas Altstadt, doch die Suche nach dem Flohmarkt bleibt vergeblich

Diese Wette verliere ich quasi im Handumdrehen. Nach weiteren schönen Einblicken auf den wunderschönen Altbau des Edificio Pedro Roldan am Ende eines malerischen, dreieckigen Platzes gelangen wir auf die Plaza San Salvador. Hier rotten sich sicher Hundert Siestaflüchtlinge vor der Front einer eher kleinen Bar zusammen, und der Geräuschpegel entspricht dem eines Fußballstadions nach dem Torschuss. Ich gebe meinen Widerspruch auf und erkläre die Andalusier zu Weltmeistern im Fach lautstarker Freiluftdiskussionen.

Eine schmale Gasse am Ende des Platzes führt uns zur Calle Sierpes, wo mir aber in der gegenüber liegenden Seitengasse eine wunderschönes Kapelle ins Auge springt, deren blau und rotfarbiger Glockenturm aus dem schattigen Grau hervorsticht. Die Capilla de San José wird leider nicht das einzige Kirchlein im Reigen der kleinen Bruderschaftskapellen bleiben, die ich nicht von innen sehen kann, weil ihre beschränkten Öffnungszeiten einfach nicht mit meinem Besichtigungsparcour vereinbar sind.

Lore hat aber hier den Outletstore eines portugiesischen Markenherstellers gefunden, den sie bisher nur aus ebay kannte und verschwindet für einige Zeit, so dass ich in Ruhe den Glockenturm von San José aus der Ferne bewundern kann wie auch die Majolikafliesen verschiedener Geschäfte rundherum. Auch die mit altmodischen Gardinen dekorierte Auslage eines Juweliergeschäfts gegenüber hat es mir angetan. Trotz allem geschäftigen Treiben und der vielen Souvenirgeschäfte herrscht hier schon die gediegene Atmosphäre alteingesessener Geschäftsdynastien, die sich von modernen Auswüchsen nicht erschüttern lassen.

In einem Anfall von Gemeinheit wären wir versucht gewesen, in einem der Touristenläden wunderschön mit Folkloremotiven bemalte Kastagnetten als Mitbringsel für unsere Freunde zu erstehen, die haben aber im Gegensatz zu den kettenzugehörigen Kaufhäusern siestabedingt noch geschlossen. Die Strafe für diese neu erstarkte Komplizenschaft nach dem Leidensweg durch die Kathedrale folgt auf dem Fuße: Die angebliche Marktszenerie um die Plaza de la Magdalena stellt sich als Ansammlung der überall auf der Welt gleichen Taschenneger heraus, die hier Gürtel, Taschen und Sonnenbrillen auf ihren ausgebreiteten Tüchern präsentieren. Nichts gegen Schwarze, nur dieses Sortiment kennen wir schon auswendig.

Da suchen wir uns nach gemütlichem Schlendern zurück durch die Calle Sierpes lieber ein gemütliches Plätzchen zur Brotzeit und überlegen uns einen krönenden Abschluss für diesen ersten Besichtigungstag.

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Bombastisch babylonisch: Kathedrale und Giralda

Beiden Bauwerken mangelt es an klarem Stil, den wir in Andalusien gewohnt sind. Die Besucherschlangen zeigen ein lebendes Völkerkundemuseum. Cabildo und Capilla Mayor als Perlen der Renaissance

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Ruhepunkte an der Plaza Nueva und Klein-Venedig

Zum Touristengucken und zur Brotzeit gut geeignet mit Bänken und Grünanlagen. In der Tabakfabrik leider vergeblich nach Tabakwaren gesucht. Die gibt es an der Tankstelle.

Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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