titelbild fenster-gucker reiseblog

Reisebericht zu Andalusien→Sevilla→Stadtviertel Norden

El Arenal, La Alameda de Hercules und San Luis: Sevillas nördliche Viertel zeigen sehr individuellen Flair

El Arenal, Macarena, Alameda

Die Capilla de los Marineros der Triana hat mich auf den Geschmack gebracht. Ich möchte gerne mehr von den kleineren Quartierskirchen sehen, in denen die sevillaner Hermaindades ihre kleinen Schätze aufbewahren und ihre Mikrokultur pflegen. Nach Santa Maria Magdalena werde ich zwar keine mehr betreten können. Im Arenal und besonders der Alameda und Macarena werde ich diese Kultur aber dennoch in ganz verschiedenen Facetten sehen können. Eigentlich wartet bei genauem Hinsehen fast an jeder Ecke eine neue Überraschung.

Nur sehr widerwillig habe ich der Versuchung widerstanden, weiter im etwas an Aufruhr erinnernden Zentrum des alten Fischerviertels Triana herum zu streunen. Aber die ebenso alten Viertel nördlich der Altstadt Sevillas locken und die Zeit ist knapp. Also überquere ich den Guadalquivir auf der breiten Ponte Isabella II in Richtung auf Sevillas Innenstadt, um mich dort gleich wieder in die Gassen zu schlagen. Das offensichtliche, alternative Leben am Flußstrand verschiebe ich auf später.

El Arenal und die Kirche Santa Maria Magdalena am nördlichen Rand der Altstadt Sevillas

In der Verlängerung der Triana-Brücke führt die Calle Reyes Catolicos als breiter Boulevard wieder in die Stadt hinein. Hier grenzen Schatten spendende Bäume die Gehsteige von der belebten Fahrbahn ab. Hier fließt der Verkehr noch frei am Rande der eingeschränkt oder gar nicht befahrbaren Altstadt und entsprechend ist auch das Aufkommen. Auf den breiten Gehsteigen beginnen sich die Außenplätze der Gastronomie zu füllen, so dass es sogar hier manchmal eng wird. Wenige Schritte unterhalb des Treibens liegt der im Gegensatz zu Trianas Halle bekanntere Markt "El Arenal", der natürlich ebenso heute geschlossen ist. Dafür könnte ich am Eck gegenüber eine Dortmunder Bierkneipe besuchen, die von Ingrid geführt wird oder wurde. Ich habe Ruhrpott-Gastlichkeit durchaus schätzen gelernt und finde mittlerweile nichts mehr dabei, dass es eben auch in Andalusien den Deutschen um die Ecke" gibt wie bei uns den Spanier oder Italiener. Gerade steht mir der Sinn aber nicht danach. Ich wünsche Ingrid mit einem stillen Grinsen alles Gute für ihr Geschäft.

Schon nach wenigen weiteren Schritten auf dem wieder erstiegenen Boulevard wird der Verkehr nach Norden ausgebremst, und in den ruhiger gewordenen Gassen finde ich hinter einem kleinen Vorgarten die Kirche von Santa Maria Magdalena. Auch hier findet gerade noch die Sonntagsmesse statt, so dass ich einen Blick ins Innere riskieren kann. Ein alter Mann öffnet mir von innen die Türe und murmelt Glückwünsche. Darauf war ich nicht gefasst und halte den Papp-Kaffeebecher in seiner Hand für sein verspätetes Frühstück. Meiner eigenen Bibelauslegung entsprechend ignoriere ich zwar Bettelversuche vor Kirchen aus Prinzip, bin aber schon mitten im Kirchenschiff, bevor ich eigentlich darüber nachdenken kann.

Drinnen ist es ziemlich finster und ziemlich voll, so dass ich die versprochenen Kunstschätze nicht wirklich würdigen kann. In der barocken Ausgestaltung erinnert der Raum an die Klosterkirche von San Jeronimo in Granada. Allerdings sind trotz aller Finsternis die Abbruchstellen an den Wänden nicht zu übersehen, der Putz bröckelt überall. Im sonst so strahlenden Sevilla scheint für die Instandhaltung solcher Randerscheinungen kein Geld übrig zu sein, selbst wenn diese an jedem anderen Platz der Welt ohne solche Konkurrenz kunstgeschichtliche Sensationen darstellen würden.

Auch hier wartet die Virgen de la Antigua eigentlich wohl auf ihren jährlichen Ausflug zu Ostern und die spanische Wikipedia verzeichnet gleich vier Bruderschaften, die hier ihre Wurzeln schlagen. Santa Maria Magdalena wäre also wohl durchaus ein weiterer Mosaikstein, die urchristlichen Wurzeln von Sevillas Glaubensleben aufzudröseln. Aber auch hier will ich nicht die Zeremonie der Messe stören und im Halbdunkel zwischen den Gläubigen herumwuseln.

Wieder draußen versuche ich noch, mir ein Bild zu machen von der Fassade, was aber wegen der Bäume des Vorplatzes kaum möglich ist in der Enge der städtischen Gassen. Ein Majolikabild des gekreuzigten Jesus hat es mir aber angetan, auch wenn es wohl keine kunstgeschichtliche Sensation darstellt. Mir gefällt aber die Idee, das Bildnis mit einem kleinem blau-weiß gekacheltem Vordach zu versehen, damit der Gottessohn bei Regen nicht nass wird. Da hat jemand mitgedacht.

Alternatives Leben im ehemaligen Rotlichtbezirk: La Alameda de Hercules

Jetzt war der Plan, weiter nach Norden vorzustoßen. Über die Calle de Murillo gerate ich in eigentlich nicht so erwartete Neubaubezirke mit halbmondänen Geschäftsauslagen, Banken und Aparthotels. Immerhin liegt ein ansprechender Kunstgewerbeladen am Weg, dessen Schaufenster ich für Lore als Ideengeber fotografieren kann. Über zwei Ecken lande ich auf der Plaza del Duque, ebenfalls eher im nichtssagend modernen Styling mit großem Kaufhaus und ohne die prophezeite Strassenmarktszene, die mir nach den gestrigen Erfahrungen aber auch nicht abgeht. Der Platz scheint eine Verkehrsdrehscheibe der Buslinien zu markieren mit entsprechend vielen Sitzgelegenheiten in seiner zugepflasterten Mitte. Dort lasse ich mich erst einmal nieder, um mit Hilfe meiner Reiseführer einen neuen Plan für den weiteren Verlauf des Spaziergangs aufzustellen.

Der ist gar nicht so schwer. An der nördlichen Ecke des Platzes führt die Calle Trajano direkt auf das südliche Ende der langgestreckten Alameda de Hercules, nach Auskunft des Führers ein ehemaliger Rotlichtbezirk, der sich jetzt wie so oft in ein Szeneviertel verwandelt hat. Tatsächlich kann man schon entlang der Calle Trajano den Übergang vom gediegen touristischen Altstadtflair zur Alternative beobachten. Während in den Cafés rund um die Plaza del Duque die Kellner noch mit weißem Hemd und schwarzer Fliege laufen, wird wenige Meter weiter zunehmend in Jeans und verwaschenem T-Shirt bedient und auch auf die sonst obligatorischen Kellnerschürzen verzichtet. Zunehmend mischen sich auch alternativ oder esoterisch angehauchte Läden ins Straßenbild. Die traditionellen Weiß- und Ockertöne der Fassaden werden ab und zu bunter und auch Graffitis finden ihren Platz, ob man das nun schön findet, oder nicht.

Etwas überraschend öffnet sich dann der langgestreckte Platz der Alameda vor mir. Er wirkt fast wie eine Arena, deren anderes Ende noch nicht zu sehen ist, was durch die beiden römischen Säulen noch unterstützt wird, die den südlichen Beginn markieren. Die wenigen Platanen im Zentrum können aber den staubigen Gesamteindruck nicht überdecken. Auf der löchrigen Straße, die den Platz wie eine Radrennbahn umspannt, fahren nicht viele Autos, was den zahlreichen Kindern das Spielen erleichtert, während ihre Eltern in den zahlreichen Cafés entlang der Außenbahn das entspannte Plaudern erleichtert.

Ein Blick in die Runde macht den angekündigten Wandel des Platzes deutlich. Während einige Gebäude noch deutlich sichtbar darauf warten, aus ihren Ruinen zu neuem Glanz zu erwachen, springt direkt daneben frisch erstandener Luxus und Lifestyle direkt ins Auge. Der wirkt aber nicht aufdringlich. In manchen der kleinen, schattigen Vorgärtchen haben sich sogar familiäre Mini-Cafés etabliert, die mich an die alternativen Frühstückskneipen an der Havel in Berlin der Vorwendezeit erinnern, die anderen sind natürlich streng privat.

Das gepflasterte Zentrum des Platzes wirkt allerdings eher wie eine Wüste, die durch einzelne Kioskbauten, steinerne Sitzgruppen und Springbrunnen mühsam aufgepeppt wurde. Das wird wohl hauptsächlich durch den Kontrast zu den bisher gewohnten Plätzen der andalusischen Hauptstadt bewirkt. Hier tobt nämlich durchaus das Leben. Besonders die Hundebesitzer, namentlich die von Windhunden, scheinen sich hier zum Erfahrungsaustausch zu treffen zwischen Nachwuchsfußballern und anderen Sportlern. Und in den Cafés allenthalben im und am Rande des Platzes sind nicht viele Plätze frei.

Die Alameda de Hercules zählt sicher nicht zu Sevillas malerischsten Plätzen und müsste angesichts ihrer Ausdehnung eigentlich eher als "Meile" bezeichnet werden. An manchen Stellen wirkt sie mehr wie eine gigantische Bushaltestelle. Sie gibt aber ein gutes Beispiel dafür, wie auch staubigen Plattenplätzen durch kleine Gestaltungsmaßnahmen Leben eingehaucht werden kann und sagt über sevillaner Leben wahrscheinlich mehr aus als die berühmte Plaza Nueva.

Macarena und die Calle San Luis: Umbruch zwischen alternativem Leben und sehr moderner Städteplanung

Am Nordende der Almaneda schlage ich mich nach rechts in das Wirrwarr kleinerer Gassen, um noch das Macarena-Viertel zu erkunden und dann über die Calle San Luis in Richtung Innenstadt zurückzukehren. Jetzt schlägt die Siesta voll zu, ich stapfe ziemlich allein durch die Häuserschluchten. Alternativ geht es hier bestimmt zu, wie die Auslagen der Geschäfte zeigen. Sogar der Begriff "BIO" hat hier bereits Einzug gehalten. Sanierungsbemühungen sind unverkennbar, aber auch deren Folgen: Ich komme an zwei offensichtlich identisch gebauten und unmittelbar angrenzenden Gebäuden vorbei, hinter deren Eingängen sich ein langer Innenhof hinzieht, der links und rechts von langgestreckten Wohneinheiten umrahmt ist. Während der erste noch finster und schmuddelig dreinblickt, quer gespannte Wäscheleinen mit fleckigen Shirts sowie der Einkaufswagen eines Obdachlosen im Vorbau auf das Mietpotential schließen lassen, ist der zweite bereits saniert. Durch das offenstehende Portal des Eingangsbereichs in Mahagoni-Imitat erhascht man noch einen Blick auf das sonst wohl sorgsam geschützte Innere, wo die Wohnfassaden durch wechselnde, weiß gekalkte Fassadenelemente aufgehübscht sind und die Wäscheleinen durch kleine, dekorative Wandelgangbrücken ersetzt wurden.

Immerhin kommt mir ein als Vogeljakob verkleideter Fahrradfahrer entgegen und grüßt freundlich. Die "Ureinwohner" sind wohl noch nicht restlos vertrieben und auch nicht von einer geheimnisvollen Seuche dahin gerafft, wie man angesichts der Totenstille zwischen den Häusern vermuten möchte. Auf der Plaza Pumarejo, die ich jetzt erreiche, sind sie alle versammelt, im feinsten Sonntagsstaat gekleidet und machen an Lautstärke alles wett, was mir auf den letzten Metern gefehlt hat. Die Balkone der bröckelnden Palazzos, die den Platz beherrschen, sind mit Bannern und Parolen drapiert sowie mit herab blickenden Pappfiguren anstelle der dort offensichtlich nicht mehr lebenden Menschen. Diese Dekoration lässt den ganzen Platz mit seinem lärmenden Leben umso mehr wie eine riesige Theaterbühne aussehen, wirft aber auch ein weiteres Licht auf Probleme überzogener Luxussanierung und wegen Geldmangels verkommender Gebäude.

Einige etwas einsam an den Stehtischen der Bistros gelehnte Damen erwecken angesichts ziemlich großzügiger Dekolletés bei mir den Eindruck, als seien die Zeiten der Rotlichtvergangenheit noch nicht ganz abgeschlossen. Beim Rückweg werde ich dem Abbitte leisten müssen, wenn dieselben Damen im Familienkreis und in Begleitung Krawatten befrackter Väter Sonntag feiern. Im Gegensatz zum bayrischen Oberland scheint die Kleiderordnung hierzulande nicht zwischen Saturday Night Fever und dem Sonntagmittag zu unterscheiden. Ich selber mit meinem unübersehbaren Touristenoutfit habe hier ohnehin nichts verloren.

Auf der Calle San Luis zur nördlichen Stadtmauer am andalusischen Parlament

Also gehe ich meinen Pflichten nach und folge der Calle San Luis bis zur nördlichen Stadtmauer, wo sich zwischen großen Palmen die Basilica de Macarena erhebt. Ebenso wie die weiter in Richtung Innenstadt gelegene Iglesia de San Luis de los Franceses wäre auch sie die Urzelle einer der sevillaner Hermanidades und sicher schon wegen der dort zu vermutenden Kultgegenstände einen Besuch wert. Aber vor der Abendmesse ist jetzt natürlich keine Kirche mehr offen. Immerhin ist die hier beheimatete Madonna auch auf kleinen Fliesenbildern an den Außenmauern abgebildet.

Ich werfe einen kurzen Blick auf dem außerhalb der Stadtmauer hinter dem Macarena-Tor vorbei rauschenden Verkehr auf der Calle Resolana und den gegenüber liegenden Platz, hinter dem das andalusische Parlament tagt. Dann ziehe ich mich aber sofort zurück in die beschauliche Ruhe des Macarena-Viertels, die auch auf dem gesamten Rückweg über die Calle San Luis in Richtung Innenstadt durch überraschend wenige Touristenkollegen flankiert wird.

Erst als ich mich der Innenstadt an der Plaza Ponce de Leon nähere, beginnt auch der normale, "touristische" Zirkus allmählich wieder. Hier scheint mir die Busdrehscheibe am nördlichen Rand des Zentrums zu liegen. Es gelingt mir, immerhin einen Plan der Bus- und Tramlinien abzufotografieren, was mir die morgige Besichtigung in Lores gehgeschwächter Begleitung vielleicht etwas erleichtern könnte. Auf einer der Sitzbänke wird es aber wieder Zeit für eine Denkpause. Für heute sollte der Plichtbesichtigungen Genüge getan sein. Ich will mich am Ufer des Guadalquivirs entlang langsam in Richtung meiner Metrostation an der Puerta de Jerez zurück bewegen, dann sollte es gut sein für heute.

Unterwegs soll ich noch am Palazzo der reiselustigen Gräfin von Lebrija vorbeikommen, sagt mein Reiseführer. Die hat sich Anfang des letzten Jahrhunderts entgegen aller Konventionen geweigert, nach Verwitwung erneut zu heiraten und ihr Geld lieber in die eigenständige Erkundung dieser Welt investiert, was ich sehr vernünftig finde. Falls ich noch Lust habe, kann ich ja ihre Sammlungen noch besichtigen. Da habe ich allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht, den Sevilla hat zu meiner Überraschung eine neue Sensation zu bieten, die in meinen Reiseführern auf ebay-Basis noch gar nicht verzeichnet ist, die Plaza Mayor.

Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten

Vorhergehender Artikel

Uferspaziergang und C. Betis im Seefahrerviertel

Die Triana zeigt sich an der Plaza de Cuba von der hässlichen Seite. Ihre Lebensadern und das Zentrum dahinter zeigen aber den Stil des Viertels und seiner Bruderschaften

Nachfolgender Artikel

Kulturforum und Aussicht auf der Plaza Mayor

Für mich Sensation, im Städtebau umstritten: Die Holzkonstruktion des Parasol mit Orion-Lift zu einer einzigartigen Aussicht über Sevilla, deutlich bequemer als von der Giralda

Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

[Sitemap] [Werbung schalten auf diesen Seiten] [Kommentar abgeben]