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Reisebericht zu Madeira→Funchal→Camacha Levada dos Tornos

Souvenirs und andere Mahnmale in Camacha und entlang der Levada dos Tornos

Abenteuerwanderung über steilen Talgründen und Wasserfällen

Das Korbflechterzentrum Camacha hat sich natürlich gemausert, den Supermarkt der Souvenirs und Mitbringsel finden wir aber vor genau wie vor zwanzig Jahren. Für die Levada dos Tornos, wo wir vor zwanzig Jahren die sicher abenteuerlichste Wanderung unseres Lebens gemacht hatten, gilt das nicht. Hier hat sich die Besiedlung schon bis an den Wasserlauf heraufgearbeitet und die ehemaligen Gefahrenstellen eingeebnet. Ausgesetzte, glitschige Übergänge unter Wasserfällen vor steil abfallenden Talgründen gibt es aber immer noch.

Anfangs nutzen wir noch ein weiteres Mal den morgendlichen Sonnenschein auf der Terrasse, aber gegen Mittag haben wir genug gefaulenzt. Das Wetter scheint zu halten, wenn auch nicht in strahlendem Glanz. Wir werden daher die "untere Etage" des östlichen Berglandes erkunden. Die beginnt in Camacha, dem Korbflechter- und Töpferzentrum der Insel. An das Örtchen können wir uns noch gut vom letzten Urlaub erinnern. Damals hatte ein streunender Hund uns adoptiert und bis in den Bus begleitet, in dem er mit uns heimreisen wollte. Allerdings war zu unserer Erleichterung der Busfahrer dagegen.

Das Zentrum der Korbflechter: Uhrturm von Camacha als permanenter Basar für Souvenirs

Nach eingehendem Kartenstudium entscheide ich mich für eine schnelle Tunnelvariante anstelle der an der Autobahn ausgeschilderten Ausfahrt und siehe da, dieses Mal gelingt es, die Kartenzeichnung in die Realität zu übersetzen. In kürzester Zeit befinden wir uns im Zentrum von Camacha. Anhand des Uhrturm-Restaurants Café Relogio können wir den Platz auch wieder identifizieren. Nur sieht er heute nicht mehr wie ein indonesischer Dorfplatz aus, an dessen Flanken sich Basars und Busbahnhof abwechseln. Die Platzmitte ziert jetzt ein sauberer, mit Steinmauer eingefasster Park. Die Basarläden sind steinernen Gemeindebauten gewichen. Auf diese Weise kommt jetzt auch die Dorfkirche wieder zu Geltung, die früher in dem ganzen Trubel eher unterging. Genau dieser Trubel fehlt jetzt allerdings, öffentliches Leben findet kaum statt. Alles liegt verschlafen und friedlich in der Sonne.

Und eben das Uhrturmgebäude, das steht auch noch. Es beherbergt eine sich nach unten in drei Etagen in den Berg fressende Mischung aus Souvenir-Supermarkt, Töpfer- und Korbbindermuseum und Fabrik. Wir schlendern durch die meterlangen Regale voller Korbwaren und Keramik im ersten Stock. Trotz grundsätzlich vorhandenen guten Willens, beispielsweise Espressotassen zu erstehen, finden wir aber nichts, was uns zwingend ansprechen würde. Auch die Korbwaren erinnern uns eher an Nierentischchen in Eiche rustikal und bei manchen Objekten ist nicht einmal im Ansatz zu erkennen, welcher Funktionalität sie dienen sollten. Außerdem sind die Preise im Vergleich zu bereits besichtigten Touristerias reichlich hoch.

Der Mirador neben dem Eingang dieses Kitschpalastes am Ende des Platzes bietet einen weiten Blick in Richtung Canico, hauptsächlich auf die offensichtlich rapide fortschreitende Zersiedlung der Landschaft. Zu unseren Füssen führte früher ein kleines Betonwegerl hinunter in Richtung Pampa, bis hin zur Levada. Heute verläuft die Schnellstrasse direkt unter uns, dahinter verstreuen sich Neubauten hügelabwärts. Selbst wenn die früheren Bruchbuden nicht vor Schönheit geglänzt haben und deren Abriss kaum zu verdenken ist, wirkt jetzt alles deutlich steriler.

Dem sind wohl auch die streunenden Hunde zum Opfer gefallen. Bei unserem Besuch vor zwanzig Jahren hatte einer von ihnen uns adoptiert und war uns bis in den Linienbus gefolgt, wo er es sich scheinbar teilnahmslos unter einer benachbarten Sitzbank möglichst unsichtbar gemütlich machte. Diesen Trick kannte allerdings der Busfahrer auch und bereitete der jungen Liaison ein jähes Ende.

Auf der Suche nach vergangenen Abenteuern an der Levada dos Tornos bei Lombo Grande

Wir fahren daher weiter in Richtung Santo da Serra und Santana. Vorher aber wollen wir versuchen, den Endpunkt unserer damaligen Abenteuerwanderung auf der Levada dos Tornos zu finden, Lombo Grande. Mit unserer großräumigen Karte sollte dies kein so großes Problem sein. Die Abzweigung finden wir auch sofort, nur mit der Beurteilung der gefahrenen Distanz bergab wird es problematisch. Die nach meiner Erinnerung mitten im stillen Eukalyptuswald gelegene Kurve, an der Peter damals wie selbstverständlich auf uns gewartet hat, existiert in dem reichlich verbauten Gebiet mangels Wald nicht mehr. Trotzdem findet Lores Spürnase die Kreuzung der Levada mit der Straße tatsächlich in einer Kurve, und wenige Meter bergab parken wir das Auto an derselben Stelle wie damals.

Nur noch die Reste einiger Baumgruppen, die jetzt noch die Levada säumen, erinnern an den tiefen und dunklen Wald von damals. Gegenüber hat sich eine großflächige Fabrikanlage im plattgewalzten Schlamm breit gemacht. Dahinter erstreckt sich eine Art Kunst- oder Mahngarten, wir können den Zweck nicht erkennen. Jedenfalls hat jemand allerlei verschieden farbigen Müll in die Bäume gehängt, außerdem offenbar nach gewolltem Muster Kloschüsseln, Bettgestelle und dergleichen zwischen die Stämme drapiert. We are not amused, wissen nur nicht, warum: Entweder mangelt es uns an Kunstverständnis oder unser Verständnis von Müllentsorgung ist mit dem hiesigen nicht kompatibel.

Trotzdem marschieren wir frohgemut drauflos in der Hoffnung, erstens die richtige Levada anzugehen und zweitens die Stelle mit dem todesmutigen Betonschwellenübergang wieder zu finden, der uns zwanzig Jahre zuvor fast an die Grenze unseres Gottvertrauens gebracht hatte. Unsere Entschlossenheit wird schnell auf eine erste Probe gestellt, als wir ein steiles Teersträßchen kreuzen müssen und die schön gebaute Fortsetzung des Weges auf der anderen Seite jäh vor einem Gartenzaun endet, dessen Türe verschlossen scheint. Allerdings führen auch einige steile Stufen hinauf, was für eine flach dahin plätschernde Levada ungewöhnlich ist. Nach kurzem Nachdenken finden wir den Weg. Dem ebenerdigen Schlammpfad müssen wir folgen, der hinter dem Wellblechschuppen scheinbar in den Hinterhof führt. Dort fließt auch prompt wieder die Levada, und daneben markieren die Betonplatten den Verlauf.

Diese scheinen eher den Verbindungsweg für die anliegenden Häuser darzustellen. Wir dagegen sind uns sicher, damals den Weg in stiller Natur gegangen zu sein, bis zum Ende, an dem wir nun unser Auto wähnen. Damals erschien uns der umgebende Frieden sogar als Ironie angesichts der Fußangeln, die ebendiese Natur uns bis dorthin in den Weg zu legen versucht hatte. Unsere feste Überzeugung, die "richtige" Levada entlang zu laufen, wird so auf eine weitere, harte Probe gestellt, andererseits werden wir ähnliche Neuheiten auch noch entlang der Levada Nova kennenlernen. Jetzt finden sich sogar Einzelparkplätze neben dem Wasserlauf, die nur durch komplizierte und steile Pisten von oben her erreichbar sind. Erst nach zwei weiteren Lombos, also Taleinschnitten, wird es stiller und wie auf einen Schlag grün und menschenleer.

Dafür naht zugleich auch die Natur mit ihren uns erinnerlichen Waffen. Unvermittelt stehen wir vor einem Tunnel, dessen Ende nicht zu sehen ist. Ein Umgehen scheint nur mit größerem Kraxeleinsatz möglich, den wir uns möglichst ersparen wollen. Also packen wir erstmals die Taschenlampe aus und nehmen die noch mit Folie abgeklebten Batterien in Betrieb. Deren Ausbeute allerdings ist höchst enttäuschend. Mit einer besseren Funzel tasten wir uns durch den kaum mannshohen Tunnel, dessen Boden sich zudem als matschig, glitschig und abschüssig herausstellt. Einige Male rutschen wir bedrohlich gegen die Levada hin ab, aber ansonsten geht es einigermaßen gut und schon bald sehen wir auch wieder Licht nach einer kleinen Kurve.

Ehemals gemeisterte Abenteuerklippen sind jetzt verbaut, die Levada dos Tornos wartet aber immer noch mit Überraschungen auf

Doch das Dos-Tornos-Syndrom scheint sich zu wiederholen. Einige Kurven weiter, nachdem wir bereits das vermutete Ziel unserer Wanderung ausgemacht hatten, droht neue Unbill, schon von weitem zu hören am lustigen Plätschern, genau wie früher. Ein breiter Wasserfall ergießt sich in dickem Schwall auf eine Betonplatte am talseitigen Abgrund, um von dort weiter in die Tiefe zu rauschen. Eine trockene Umgehung wäre allenfalls durch einen Balanceakt an der abschüssigen Plattenkante möglich, und dieser wäre eindeutig zu gefährlich. Als Alternative bleibt nur die Dusche. Die verweigert Lore entschieden, ihre Einstellung zu solchen Einrichtungen ist bekannt, sogar wenn sie sich dort befinden, wo sie hin gehören. Kurzzeitig finde ich mich damit ab, bis mich dann doch der innere Schweinehund packt. So kurz vor dem Ziel gebe ich doch nicht auf wegen in paar Wasserspritzern. Lore wird in der Sonne drapiert und ziehe mir die Regenjacke über.

Einfach konzentriert mit ruhigem Schritt durch und gleich ist es vorüber. Die Hose ist ziemlich nass geworden, sonst ist alles in Ordnung und ich stapfe los. Der Weitergang um die letzte Landzunge, bevor ich die bewusste Stelle erreichen müsste, wird mir erneut durch einen Tunnel verwehrt. Praktischerweise habe ich den Rucksack mit der Taschenlampe zusammen mit Lore zurückgelassen, ich wollte ja nur noch ein paar Meter weiter erkunden. Hier allerdings ist Licht am Ende zu sehen, so dass ich wiederum nicht das Weichei gebe und einfach mit ruhigem Schritt hindurchstapfe, den Blick konzentriert auf den Boden. Der ist zwar auch leicht schlammig, aber nicht so abschüssig wie bei beim ersten Mal. Unbeschadet kämpfe ich mich durch.

Dafür fällt der Erfolg aller dieser Mühen eher enttäuschend aus. Am Gegenhang ist zwar der ausgesetzte Levadaweg mit Wasserfall gut zu sehen, den ich wohl nicht mehr vergessen werde. Er sieht aber von hier kaum spektakulärer aus als der, den ich gerade hinter mir gelassen habe. Der Abhang an seiner Kante ist zwar nach wie vor vorhanden, jedoch so zugewachsen, dass man ihn kaum als solches erkennen kann. Das steinige Flussbett, über das einstmals in deutlich fühlbarer Höhe ein Betonsteg wie eine Eisenbahnschiene mit weit auseinander stehenden Sprossen verlief, ist dagegen gänzlich verschwunden. Die Scharte ist komplett aufgeschüttet und mit Bäumen und Buschwerk derart zugewachsen, dass man gar nichts mehr erkennen kann. Die Levada samt stabilen Wegesrand läuft einfach rund durch das Erdwerk. Aber immerhin. Ich bin dort gewesen.

Ein veritabler Abenteuerweg scheint die Levada dos Tornos in ihrem ehemalig wilden Verlauf nördlich von Camacha also nicht mehr zu sein. Die damals erst "zufällig" nach absolvierter Wanderung entdeckte Anmerkung im Reiseführer, diesen Weg nur mit erfahrenem Führer zu gehen, erscheint heute eher lächerlich. Aber die ausgesetzten Steige über Wasserfallbecken vor grün, aber steil abfallenden Talgründen gibt es immer noch, so dass im Vergleich zu den autobahngleichen Klassikern um Rabacal zumindest ein gewisser Erlebniswert verbleibt. Die mittlerweile vom Tal heraufgewachsenen Behausungen lassen aber ein Naturgefühl nicht mehr ganz so aufkommen, wie wir es erinnert haben.

Auf dem Rückweg versuchen wir, den schmierigen Tunnel auf einem deutlich ausgetretenen Pfad unterhalb zu umgehen und treffen dabei ein paar Schwestern von Lore, die dort friedlich grasen. Das geht auch alles ganz gut, nur müssen wir irgendwann auch wieder zur Levada aufsteigen. Dahin führt der Pfad allerdings nicht, eher geradeaus bergab in irgendeins der Dörfer dort unten. Ein letztes Abenteuer bleibt uns also nicht erspart, wenn wir nicht umkehren wollen und doch noch durch den Tunnel. Steil bergauf, mehr kriechen und rutschen als steigen, mitten durch den Stechginster, der den einzigen Halt bietet. Lore tut mir jetzt ehrlich leid, ich versuche, sie zu ziehen, wo es geht, habe aber selbst fast keinen sicheren Stand. Aber auch sie scheut den Tunnel und keucht lieber hinauf, bis wir uns mit letzter Kraft auf den Betonsteig hinaufhangeln. Der Rest ist natürlich easy.

Neue Sportarten erschließen die Levadawege an der Los Tornos

Am Auto beschließen wir aber doch, es für heute gut sein zu lassen. Über uns röhren derweil mit Vollgas zwei Motocross-Maschinen die Betonbahn neben der Levada entlang. Vielleicht führt man uns ja hier die hiesige Sportart der Zukunft vor: Levada-Crossing. Wir sind schon wieder nicht begeistert. Aber an der ersten Baumwurzel neben dem Abgrund werden sich die Lärmkünstler ohnehin das Genick brechen.

Wir rollen gemächlich bergab Richtung Meer und schonen brav Lores Nerven. Im nächsten Dorf verbietet sich sogar Schritttempo als zu gefährlich, weil gerade der allgemeine Kirchgang zelebriert wird. Der füllt die Dorfstraße zur Gänze aus und die Bewohner sehen uns eher als natürlichen Teilnehmer ihrer Prozession denn als Durchreisende. Diese Gemächlichkeit beruhigt uns wieder. Vielleicht wird der Fortschritt ja doch nicht so bald alle Urtümlichkeit vernichten. Noch können wir nicht wissen, dass zwei Wochen später sich die Natur ohnehin einen Teil dessen von selbst zurückholen wird, was in zwanzig Jahren wüst verbaut worden ist.

Insoweit ist auch nicht sicher, ob die beschriebene Wanderung auch heute noch problemlos zu wiederholen ist. Ein Großteil der Anlagen wurde sicher zerstört. Nachahmer sollten sich also zunächst erkundigen, ob und wo die Levada dos Tornos wieder begehbar ist.

Nur kurz überlegen wir, das für heute eingeplante aushäusige Essen in der heimischen Gastronomie in Funchal einzunehmen. Nachdem ich Lore aber nicht garantieren kann, ob dort samstags die Geschäfte auch nach 18:00 noch geöffnet sind, fahren wir sicherheitshalber gleich in Richtung Beach Studio, um den Geheimtipp in Prazeres auszuprobieren. So kann ich auch meine durchnässte Hose noch wechseln.

Die tief stehende Sonne vor der Windschutzscheibe nervt bei der Heimfahrt genauso wie in Gran Canaria, so dass wir in Ribeira Halt machen, um einen Sundowner-Bica zu schlürfen. Damit hat es aber entgegen anfänglich anders lautenden Vorsätzen auch schon sein Bewenden, weil es unmittelbar nach dem Sun down eisig kalt wird. Ohne Umweg über Schaufenster fahren wir heim, wechseln kurz das Outfit und machen uns auf den Weg zum Abendessen.

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Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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