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Nicht nur liebenswert, auch durchaus sehenswert: Segura, die heimliche Hauptstadt der Sierra

Reisebericht zu AndalusienNordostandalusien → Segura de Sierra

Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants sind auch von hier zu sehen

Erster, steiler Spaziergang durch Sierra de la Segura, erste Überraschung. Nach Erkundung der naheliegenden Einkaufs- und Restaurantmöglichkeiten schlendere ich durch ein Dorf, das ganz offensichtlich bis heute geprägt ist von weit zurückreichender historischer Bedeutung. Die Ruinen der Banos Arabes singen ein Lied davon und sind besser erhalten als die meisten ihrer Schwestern in so genannten "großen" Bauwerken. Aber schon die grandiose Aussicht unter den engen Gassen des maurischen Viertels ist einen Besuch auch für Durchreisende wert.

Nach unserer geglückten Ankunft in Segura de la Sierra hat Lore sich erstmal auf ein kleines Schläfchen niedergelegt. Ich bin dazu noch zu aufgedreht und beschließe, die herrliche Nachmittagssonne zu einem kleinen Spaziergang durch das Dorf zu nutzen. Anton, unser Wirt, hat mir die sehenswerten Orte ja aufgezeichnet. Ein wenig Lokalpatriotismus hatte ich ihm ja doch unterstellt bei seinen Schilderungen, werde aber schnell eines Besseren belehrt.

Einkaufen und Essen gehen wenige Stufen unterhalb des Apartments im Oberdorf

Einer der Treppengänge durch den Ort führt direkt an unserer Veranda vorbei und eine kleine Seitenpforte entlässt mich direkt dorthin, ohne wieder alle Etagen der Huertos erst nach oben steigen zu müssen. Es sind etwas mehr als 50 Stufen, die mich über mehrere Ecken in den Mittelteil des Oberdorfes führen. Für Lore eine wichtige Information. Denn hier befinden sich die beiden Restaurants innerhalb des Dorfkerns, hinter einem kleinen Vorplatz liegen sie direkt nebeneinander. Zwei Türme rote Gartenstühle stehen aufgestapelt auf einem kleinen Balkon. Das macht mir Hoffnung, beim geplanten Besuch vielleicht draußen sitzen zu können. Auch hier in den Bergen sind die Abendtemperaturen ja durchaus noch erträglich.

Weiter 50 Stufen, und ich trete zwischen den engen Gassen auf den Hauptplatz hinaus, über den wir ja hergekommen sind. Hier herrscht wieder freie Aussicht auf die umliegenden Bergketten. Vor der Nase stehen die oberen beiden Drittel der Pfarrkirche, das Fundament liegt ja bereits auf der nächst-unteren Etage hinter der kleinen Mauer verborgen. Linker Hand kann ich 50 Meter weiter auswärts das Schild des kleinen Ladens erkennen, in dem es laut Anton alles zu kaufen gibt.

Morgen und übermorgen werde ich hier zur Morgenertüchtigung unsere Frühstücksbaguettes kaufen und den Laden lieben lernen. Er zieht sich nämlich in mehreren Abteilungen entlang der Hauptstraße, die zwar separate Eingänge haben, innen aber verbunden sind. Im eigentlichen Laden gibt es die Lebensmittel zu erstehen, frisches Brot, Wurst, Käse und Gemüse. Sobald man sich an die Dunkelheit gewöhnt hat, findet man vermutlich wirklich (fast) alles. Natürlich wird hier nur spanisch gesprochen, aber mit etwas Radebrechen bekommt man von den geduldigen Inhabern alles, was man benötigt. Vermutlich tut es auch dem offensichtlich inbrünstig abgehaltenen Dorfschwatz gut, sich gleich hier persönlich "anzumelden", dann müssen die Einwohner nicht so lange spekulieren, wer wieder beim Anton oben eingezogen ist.

Im nächsten Raum sind der Tabakladen und das Postamt untergebracht. Dorthin begleitet mich ein Familienmitglied, als ich Briefmarken zum Brot mitnehmen möchte. Das war gar nicht so einfach, weil ich wegen meiner sprachlichen franco-italienischen Grundfixierung "sellos" mal wieder so ausspreche wie dort üblich anstatt "seijos" wie im Spanischen. Ist vermutlich so, als wenn ich in Deutschland "Bscho" statt Brot verlangen würde. Der Zusatz "para cartes postales" klärt das Rätsel intuitiv. Es dauert nur etwas, bis aus diversen Listen und dem Post-PC herausgefunden wird, wie Postkarten in Europa frankiert werden müssen. Derweil werfe ich einen Blick in die dritte Abteilung, wo die Haushaltswaren verkauft werden. Ich brauche nur gerade weder ein Kaffeeservice noch eine Schneeschaufel.

Ein weißes Dorf in der Segura wartet in engen Gassen mit sehr malerischen Eindrücken Impressionen innen und außen auf

Jetzt möchte ich mir aber kurz die Kirche anschauen. Sie ist sogar offen, der Küster ist aber anscheinend mit den Vorbereitungen für die Abendmesse beschäftigt. Der Besuch vor der Zeit erschreckt ihn und er schaut mich an wie ein Alien, das die anstehenden heiligen Sakramente stehlen möchte. Da ziehe ich mich lieber wieder zurück und bewundere den Dorfbrunnen, aus dem in der Wand direkt unterhalb des Hauptplatzes fröhlich das Wasser plätschert. Das breite Becken der Fuente Imperial wird vom Wappen Karls V. geziert. Seinen Palast haben wir ja gerade in der Alhambra bewundert. Hier war er angeblich auch mal und hat den Brunnen gestiftet. Egal, schön anzusehen ist er allemal.

Ich folge den Gassen einfach abwärts. Hinter einem pittoresk mit Blumentöpfen gezierten Seitenplatz finde ich die Jesuitenkirche, die um diese Uhrzeit natürlich geschlossen ist. Wie überall im Ort informiert mich aber eine zweisprachige Info-Tafel darüber, was mir geht. Den Service gibt es andernorts nicht.

Jetzt geht es abwärts ins alte maurische Viertel, also dem Albayizin von Segura. Enge Gassen führen steil bergab, kleine Bögen runden das Bild ab und ganz unten empfängt mich die Ruine eines ehemaligen Befestigungstors. Alles nicht unbedingt spektakulär für den erfahrenen Andalusien-Rundreiser, aber gerade mit dem Hintergrund der Berge durchaus pittoresk und keineswegs schlampiger als in den unzähligen anderen weißen Dörfern, von denen niemand weiß, warum gerade sie so touristische Berühmtheit erlangt haben.

Und nette Details gibt es überall zu entdecken, lerne ich auch hier wieder. Zwischen meinem jetzt ganz unten im Dorf liegenden Standort und der Kirche über mir wurden anscheinend einige Altbauten modern saniert. Der Architekt muss aus Malaga kommen, denn er hat mit seinen gewagten, runden Erkern tatsächlich den Aufbau der Seitenkapellen der dortigen Kathedrale perfekt kopiert. Ich notiere ein geistiges Kompliment. Natürlich schnüffle ich noch etwas außerhalb der Stadtmauern herum und muss schon wieder grinsen: Auf dem sandigen Vorplatz sind zwar natürlich die Autos einer dort ansässigen Baufirma geparkt, auf dem Rest hat man aber flugs zwei Fußballtore aufgestellt. In diesen beengten Verhältnissen am Berghang muss eben jeder Quadratzentimeter auch sinnvoll genutzt werden, und das gefällt mir. Den einen oder anderen Blick in die angesichts der Bausubstanz leicht archaischen Wohnverhältnisse gibt es auch noch. Die will ich aber nicht vertiefen, schließlich bin ich nicht der reiche Onkel aus Alemana, der sich hier voyeuristisch die Lebensverhältnisse der wie überall auch hier in den Bergen noch übrig gebliebenen Restbevölkerung reinzieht.

Dementsprechend wird es jetzt ein wenig belebter in den Gassen. Nachdem ich bisher quasi alleine durch die Gassen gezogen bin, trippeln jetzt wenigstens einige Alte in Richtung Kirche. Für mich eine gute Gelegenheit, am Originalbeispiel den "Paso Serrano" mit Vorlage auszuprobieren. Funktioniert wunderbar. Ohne Schnaufen komme ich sogar samt Kippe problemlos die Steigungen wieder hinauf.

Die Banos Arabes in Segura de la Sierra: Hier mal ein tatsächlich sehenswürdiger Zustand

Vorher will ich mir aber noch die Banos Arabes anschauen, eigentlich der Vollständigkeit halber, wo ich schon so weit heruntergestiegen bin. Arabische Bäder habe ich ja nun schon einige gesehen. Meistens als Ruinen oder Reste innerhalb historischer maurischer Anlagen wie der Alhambra oder auch in Cordoba. Das war immer sehr kontemplativ, die stern- oder mondförmigen Lücken in den Dächern der Rundgewölbe zu bewundern und sich vorzustellen, wie vor tausend Jahren die Gäste versonnen in dieses Steinfirmament geblickt haben mögen. Mehr aber gibt es selten zu sehen.

Ich fahre daher erschreckt zusammen, als beim Eintritt in diese Ruine erst einmal das Licht angeht und suche schon mal die Videoüberwachung. Auch hier ist aber wieder jeder Raum mit Informationstafeln dokumentiert, und die studiere ich jetzt mal brav, falls Big Brother zuschaut. Dabei merke ich aber, dass sich hier nur jemand einfach Mühe gegeben hat, Bedeutung und Zustand dieser Bauten möglichst schlüssig zu erklären, und sei es nur für einen einsamen Betrachter wie mich in diesem Moment.

So schlendere ich schon merklich entspannter durch die Kammern. Die Abfolge der einzelnen Anwendungen weiß ich rein theoretisch, der lässt sich hier aber auch nicht wirklich erschließen. Mir gefallen einfach die gut erhaltenen Überreste der maurischen Dekorationen. Einige Tage später werden wir in Cordoba den dortigen Alcazar besuchen und dort auch arabische Bäder präsentiert bekommen, bei deren traurig ruinösen Zustand ich mich mit einem müden Lächeln an diese hier erinnern werde.

Ich bin jedenfalls ziemlich beeindruckt sowohl vom Bauwerk selbst wie auch von der Mühe und Sorgfalt, die für ihre Präsentation aufgewendet wurde. Und es bestätigt mir eine traurige Vermutung. Wie überall haben diese Dörfer weitab der Touristenströme mit vielen Problemen zu kämpfen, die Jungen wandern weg und althergebrachte Strukturen und Traditionen geraten zusehends in Vergessenheit. Hier lagen aber vor tausend Jahren die Brennpunkte des Kulturkriegs zwischen maurischen Damalsbesitzern und den katholischen Rückeroberern, was allen diesen Orten eine wichtige Bedeutung verliehen hat, von der sie auch heute noch zehren können. Abgesehen von der Landschaft verfügt der hiesige Naturpark natürlich nicht über UNESCO-prämiertes Weltkulturerbe. Kleine, aber feine Kulturerbe gibt es dafür hinter jeder nächsten Straßenecke zu sehen. Hier muss man sie halt selber entdecken.

Steinböcke vor der Haustür beim abendlichen Sonnenuntergangs-Spaziergang am Balkon der Huertos de la Segura

Als ich wieder ins Apartment zurückkehre, ist Lore mittlerweile auch wieder vom Schönheitsschlaf erwacht und hat uns schon mal eingerichtet. Die Sonne steht schon recht tief und wir beschließen, deren Untergang über den Bergen zu beobachten, nachdem wir sie bis jetzt in Andalusien hauptsächlich im Meer versinken sehen haben. So schön geräumig unsere Terrasse auch ist, dieses Schauspiel können wir als Einziges von hier aus nicht beobachten.

Wir steigen also nach oben zur Straße hinauf und schlendern hinunter zu einem kleinen Balkon über dem Dorf. Die Abendstimmung taucht alles in güldenes Licht, so dass die unterschiedlichen Dachziegel auf allen Häusern noch farbiger in verschiedenen Rot- und Grautönen hervorstechen. Bis zum endgültigen Showdown wird aber noch etwas Zeit bleiben, so dass wir dem Weg erstmal noch weiter folgen. Auch andere haben diesen Höhenweg genutzt, um hier Apartmentgebäude entweder aus alter Bausubstanz zu renovieren oder neu zu bauen, auch die Restaurants unten haben hier offenbar ihre Dependancen installiert. Schauen alle auch nicht schlampig aus, aber wir sind ja bereits bestens versorgt. Die Calle Castillo, in der wir wohnen, endet hier und geht in einen Pfad über, auf dem sich als Rundweg einmal die Hänge unterhalb der Festung umrunden lassen. Man kann aber schön in den Taleinschnitt blicken, der sich in der bergwärts gerichtete Seite von Segura de la Sierra gräbt.

Frisch erwacht ist Lore natürlich kampfeslustig, vielleicht will sie sich auch nur für die Fachsimpelei revanchieren, die Anton und ich beim Empfang ausgetauscht haben. Jedenfalls habe ich den Fotoapparat noch gar nicht richtig aus meinen Taschen gepfriemelt, da will sie schon wissen: "Und, wo sind jetzt eure Steinböcke?" Ich weiß es natürlich auch nicht, drehe mich erstmal in die Landschaft und schaue auf eine kleine Felsspitze direkt vor der Nase. Der Steinbock schaut zurück. Er hat sich sogar so markant auf die Felsspitze gestellt, als würde hier eine Casting-Show stattfinden für das Plakat der nächsten Aufführung des "Freischütz" oder bayrisch "Der Wildchütz Jennerwein", vielleicht mit Florian Silbereisen. Ich bin selber so überrascht, dass die Antwort "Na, da isser doch" leider nicht lässig genug rüberkommt.

Nachdem ich mich auch als Bayer mit Steinböcken nicht so auskenne, kommt mir das Tier ziemlich klein vor. Beim näheren Hinsehen wird es von einem noch kleineren, offensichtlichen Babytier verfolgt. Beide steigen aber sofort in ihr natürliches Umfeld ab, was natürlich schön zu beobachten ist. Für gute Fotos mit meiner kleinen Handkamera ist es aber fast zu spät. Sie sind so gut getarnt, dass es mir später selbst schwerfällt, die entsprechenden Ausschnitte rauszuvergrößern, weil ich sie erst in der breiten Landschaft finden muss.

Mutter und Kind werden wir beim nächsten Abendspaziergang nochmal wiedersehen, auch erst nach längerer Beobachtung. Lore wird strikt behaupten, es handele sich um Antons Haustiere, die er zur Touristenbeschäftigung hier ausgesetzt hat. So oder so ist es schön, den scheuen Tieren zuzuschauen, wie sie hier friedlich zwischen den Felsen herumturnen.

Ein weiteres Paar verfolgt fasziniert den Weg der Steinböcke. Es handelt sich um die anderen Gäste Antons, wie wir später merken. Man trifft sich hier eben zur Abend-Show. Die bietet jetzt noch die Sonne vor ihrem Abschied für den heutigen Tag. Sowohl Segura selbst wie auch die Sierra werden in ein warmes Licht getaucht, in dem auch die kleineren Wasserflächen zu glitzern beginnen und dem man eigentlich ewig zuschauen möchte. Die perfekte Einstimmung auf den morgigen Besichtigungstag: Aussicht, Aussicht und nochmal Aussicht.

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Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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