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Reisebericht zu Madeira→Santana→Themenpark

Verlassenes Disneyland auf Madeira: Der Themenpark in Santana

Ausstellung über Geschichte und Science-Fiction Madeira

Ziemlich alleine schlendern wir durch den Themenpark in Santana, was teilweise zu grotesken Szenen führt. Aufmachung und technischem Hintergrund der einzelnen Aufführungen müssen wir aber zunehmend Respekt zollen und fühlen uns am Ende für unser Geld in Anbetracht katastrophaler Wetterlage mindestens gut unterhalten, teilweise aber auch sachlich gut und ansprechend informiert. Unsere anfänglichen Vorurteile einem Disneyland im Naturparadies gegenüber müssen wir jedenfalls über Bord werfen.

Während der abenteuerlichen Küstenfahrt über Ponta Delgada und Boa Ventura hat sich das Wetter auch im letzten, zunächst noch halbwegs sonnigen Teil der Insel zunehmend verschlechtert. Grauer Himmel und eisig-feuchte Windböen vom Meer lassen jeden Gedanken an eine Wanderung zur Makulatur werden. Wie schon gestern verfallen wir auf den Ausweichgedanken der Museen und erinnern uns an den Themenpark in Santana, den wir beim ersten Besuch fast angewidert von uns geschoben haben.

Kleines Disneyland auf Madeira: Vorurteile lohnen eben nicht

Der riesige Busparkplatz des Themenparks präsentiert sich gähnend leer, aber weil wir ordentliche Deutsche sind, parken wir das Auto im ebenso gähnend leeren Parkhaus eine Etage höher. Dann stapfen wir zum Park hinauf. Der breite Einlassbereich erinnert an den Eingang eines Fußballstadions, durch mehrere Häuschen für die Kartenabreißer in Einzelschlangen untergliedert, auch wenn heute nur die seitliche Theke besetzt ist. Sind ja auch nur wir da, witzeln wir, auch wenn hinter uns noch eine Dreiergruppe junger Damen auftaucht, immerhin Portugiesinnen. Das lässt immerhin auf einen nicht nur für Touristen konzipierten Event hoffen. Ich bekomme einen Prospekt in die Hand gedrückt und einen Plan, wann die einzelnen Aktivitäten jeweils stattfinden. Unser Vergleich mit Disneyland war also nicht ganz daneben.

Etwas ratlos betreten wir die Anlage. Auch sie besteht wieder aus reichlich Beton, eingebettet in etwas Fauna und Folklore. Die neblige Feuchtigkeit, das fehlende Tageslicht und aufkommender Wind trüben den Anblick noch weiter ein, der jetzt eher an einen Truppenübungsplatz erinnert, nur eben ohne Truppen. Immerhin gibt es schöne, große, saubere Toiletten. Auf eine Bootsfahrt über den künstlichen Teich in Betonbecken verzichten wir, obwohl die Boote ohne Abdeckung betriebsbereit scheinen, ebenso wie die weiteren Volksbelustigungen am Beckenrand Dort kann man z.B. Plastikfische harpunieren mittels undefinierbarer Münzapparate, also das madeirensische Pendant zur Schießbude. Auch der einsam wartende Bimmelbahnzug wirkt etwas deplaziert, und bis zu seiner Abfahrt um 14:30 wollen wir nicht warten.

Nach wenigen Schritten treffen wir wie erwartet auf die erste Attraktion namens "Island Fantasy", was immer auch wir uns darunter vorzustellen haben. Wie die anderen, weiter hinten schon sichtbaren Pavillons ähnelt auch er einer überdimensionierten Garage mit einer Warteschlangenregulierung vor dem Tor, die heute natürlich etwas lächerlich wirken mag. Die "Fantasy" besteht aus Comic-Art-Geschichten über die Entdeckungsgeschichte Madeiras, die einen verschlungenen Wandelgang tapezieren. Wir sind nicht sehr beeindruckt, allerdings dem Kindesalter ja bereits entwachsen, an das sich die Edukation hier wohl richtet.

Unvermittelt aber endet der Comic-Gang in einer als Schiffsanleger ausstaffierten, kleinen Kunsthöhle, in der als Gondelgefährte aufgetakelte Holzkähne in einem Konvoi dümpeln. Eine nette Angestellte fragt höflich nach den Tickets und stempelt sie. Das bedeutet, jetzt passiert was! Wir werden in den für etwa fünfzig Personen ausgelegte Gondelkonvoi gebeten, natürlich ganz vorne. Und sofort geht die Fahrt ab, durch eine geheimnisvolle Gummitüre, genau wie in der Geisterbahn. Jetzt sind wir schon ein bisschen beeindruckt, der ganze Zirkus nur für uns alleine.

Wir werden durch ächzende Schiffsrümpfe gefahren, erleben schwere Gewitter auf dunkler, hoher See, bis wir schließlich durch einen Regenvorhang ins üppig grüne Paradies mit Vogelgezwitscher und Bachrauschen einfahren. Lore bekommt zwar wieder Panik wegen Wasser von oben, aber bis wir den Duschvorhang erreichen, tröpfelt es nur noch. Eine vergnügliche, nette Einleitung für den Anfang. Don Zarco hat nach schwerer Überfahrt das Cabo Girao im Naturparadies Madeira erreicht.

Tatsächlich gut gemachter Einblick in alte Kultur- und Handwerkstraditionen

Als nächstes besuchen wir die Hütten der Handwerker. In kleinen Steinhäuschen wird Korb geflochten, getöpfert, Metall beschlagen und natürlich gestickt. Kurze, aber anschaulich gemachte Videofilmchen erklären den technischen Ablauf und echte Schauwerker sitzen drinnen und führen die Arbeiten aus. Mangels Publikum hatten einige einstweilen ein Schläfchen gehalten und schrecken jetzt schuldbewusst hoch, nur weil die zwei Deppen da vorbeischlendern. Wegen uns hätten sie auch weiterschlummern können, wir sind eher an den ausgestellten Handwerkstücken interessiert, die das bisher gesehene Niveau in Touristerias schon deutlich übersteigt. Wir zollen Anerkennung, auch der Motivation der Schauwerker, die nun in allen Hütten wieder fleißig zugange sind, als hätte man ihren Startknopf gedrückt.

Im nächsten Pavillon wartet schon eine weitere Attraktion auf uns. Wir bekommen 3-D-Brillen aufgesetzt, sitzen einsam auf einem Betonsockel in einem tristen Betonoval und schauen jetzt aus wie Biene Maja auf Rudis Beerdigung. Ein kurzes Filmchen läuft an und erklärt uns die Entstehung des Universums und danach die der Erde. Die digitalen Eruptionen aus der Tiefe des Weltenraumes kommen natürlich gut in 3D. Danach wird rechts ein schwarzer Vorhang geöffnet und entlässt uns in eine sehr ausführlich und sorgfältig gestaltete Ausstellung. Hier wird uns zunächst die Entwicklung der Erde als Planet, dann die von Flora, Fauna und Mensch und danach eindrucksvoll und auch visuell anschaulich Geschichte von Madeira erläutert. Hätten wir gesehen, wie heftig es draußen zu schütten begonnen hat, hätten wir uns auch noch mehr Zeit genommen. Aber irgendwann wird die Entzifferung der englischen Schrifttafeln anstrengend und man beschleunigt den Takt etwas. Am Ende aber müssen wir bei einer Zigarettenpause doch warten, bis der Regen nachlässt.

Etwas komisch kommen wir uns ja schon vor. Nachdem unsere drei Mitbesucherinnen anscheinend mittlerweile das Handtuch vor der Kälte geschmissen haben, sind wir beide die einzigen, die den umfangreichen Mitarbeiterstab von Madeiras Disneyland beschäftigen. Gerade habe ich Lore erklärt, dies habe auch sein Gutes, weil man keine Wartezeiten mehr in Kauf nehmen müsse, als die nächste Siegelbewahrerin uns vor ihrer Garage eiskalt weiter schickt, nur weil ihre Vorstellung erst um 16.30 beginnt, wie ein großes Schild am Eingang auch verkündet. Immerhin den Event im nächsten Pavillon könnten wir uns aber bereits in zehn Minuten anschauen, also um 16.00.

Auf dem kurzen Weg dorthin besichtigen wir noch die zwei Santanahäuser, nachdem es im gleichnamigen Ort ja keine mehr gibt (wir zumindest keine gefunden haben). Eine dunkle Kate mit riesigem Ofen beherbergt wiederum zwei Vorzeige-Santanahausbewohnerinnen, die sich auch artig über unseren Besuch freuen. Zum Schlafen wollen sie uns aber nicht auf das karge Lager über der Feuerstelle lassen, sondern schicken uns nach nebenan. Dort sind zwei schmucke Kinderbetten mit Jesusbildchen, Waschschüssel und ähnlichen Utensilien aufgebaut. Das lassen wir uns aber nicht weismachen, so putzige Kinderzimmer in armen Santanahäuschen. Macht aber nix, wir müssen jetzt eh′ zur nächsten Attraktion.

Science Fiction eröffnet Madeiras Zukunftsvisionen

Dort werden wir in eine riesige, futuristische Druckkammer gesperrt mit einer Rundum-Animation, die durch große Panzerglasscheiben Ausblicke auf einen zukünftigen Ozean bietet. Man schickt uns mit der Kapsel auf eine Reise durch die Tiefsee, in der uns böse Riesenkraken und Monsterhaie attackieren. Carglass hat die bei diesem Angriff angesprungene Sichtscheibe aber gleich wieder repariert. Unser Glasfenster-U-Boot kommt schließlich an einem Unterwasserterminal in Madeira an und wird über ein Rohrsystem an die Oberfläche geleitet. Dabei passiert allerlei Fantastisches und bestimmt ökologisch sinnvolles, was wir aber leider nicht verstehen. Nicht nur sind unsere Englischkenntnisse müde geworden, die blecherne Durchsage-Imitation ist schon akustisch schwer zu verstehen. Das macht die rasante Fahrt aber von den Bildern her nicht weniger eindrucksvoll. Wir sind jetzt wirklich beeindruckt und bereuen das Eintrittsgeld keinesfalls. Am Ende haben wir immer noch 20 verbleibende Minuten Zeit bis zum nächsten Termin, und nutzen die Pause zu einem Bica im gähnend leeren Restaurant. Der Ober muss sogar extra die Maschine wieder anheizen wegen uns.

Für die folgende Vorstellung dürfen wir laut Sicherheitshinweis am Eingang nicht schwanger sein, herzkrank oder kreuzlahm, was ja durchaus einen Erlebniswert verspricht. Deshalb verschweigen wir der Wärterin, dass letzteres durchaus zutrifft. Aber für das folgende, läppische Filmchen über Urlaubsfreuden in Madeira wieder in einer Trauerhalle mit Betonsockel wäre das wohl nicht nötig gewesen. Nachdem das Licht im Vorführraum wieder aufleuchtet, öffnet sich aber wie zuvor erneut eine zweite, geheimnisvolle Tür und wir nehmen jetzt in einer Art überdimensionaler Achterbahnschaukel für 200 Personen Platz, wo die Platzwahl natürlich schwer fällt. Ein Sicherungsbügel klappt herunter und geheimnisvoll wird der Zutrittsboden samt Geländer weggeschwenkt, bevor die Deckenbeleuchtung über der halb imaxgroßen Leinwand erlischt. Jetzt heißt es mountainbiken, Gleitschirmfliegen in Calheta, Segeln und Reiten über Madeiras Berge und Küsten, immer entsprechend mitgeschwenkt und arschgerüttelt von der Achterbahn, ähnlich wie früher im Erdbebenmuseum von Napier (NZL). Dessen Technik im Vergleich zum hier Erlebten stammt allerdings aus dem Jahrhundert der Entdeckung Madeiras. Spektakuläre Bilder, nur leider sehr spektakulär geschnitten und immer wieder von doofen Personeneinblendungen einer idiotischen Pseudohandlung gestört, sonst hätte man speziell die Flugbilder über Paul da Serra und Rabacal oder die Küsten bei Porto Moniz noch besser genießen können. Dennoch war das sein Geld absolut wert. Natürlich werden sich extreme Naturfreaks unter den Madeirabesuchern schütteln wie wir zuvor überheblicherweise auch, aber trotz mancher Kindereien sind die einzelnen Attraktionen gut gemacht und zur Kinderbeschäftigung an schlechten Tagen geeignet. Was Wetter, Kondition und Reisebudget in Bezug auf Extremsportarten verwehrt, können wir hier nachholen.

Vor dem Ausgang entdecken wir noch eine weitere Garage am Seitenhang, die mit einem großen Transparent für "nuova attraciones" wirbt. Wenn wir schon da sind und sonst niemand, wollen wir trotz der steilen Treppen bergauf auch das noch abgrasen. Die arme Vorführerin hat wohl schon nicht mehr an Besuch geglaubt, und jetzt muss sie extra aus der warmen Cafeteria zu uns hinaufsteigen. Sie lässt sich aber nichts anmerken. Eine mit Hologrammen und Hintergrundfilmchen ausgestattete Animation über Madeiras Geschichte erwartet uns. Das meiste haben wir ja schon brav gelernt in der Ausstellung, aber so ist es noch mal hübsch anzuschauen.

Zuletzt: Eigene Übersetzung madeirensischer Kultur auf dem Teller daheim

So viel Kultur macht hungrig, und wir haben ja noch die eigentlich der Wanderung zugedachte Brotzeit im Rucksack. Deshalb halten wir den Besuch in den beiden obligatorischen Kitscherias am Ausgang kurz und machen uns auf dem Parkplatz über die Sandwichs her, und wenn wir noch so bibbern in der Kälte. Jetzt müssen wir tatsächlich die Autoheizung bei der Heimfahrt einschalten! Im Gegensatz zu den Häusern gibt es die in hiesigen Fahrzeugen wenigstens. Schon vor Funchal beginnt es zu regnen, was den abendlichen Berufsverkehr auf einen Schlag zum Schleichen bringt. Anscheinend haben wir zwar des öfteren Orientierungsschwierigkeiten mit der Verkehrsführung, die Einheimischen dagegen mit dem Wetter.

Wieder daheim erhalten wir zum Sundown erstmals Besuch auf der Terrasse. Die weiße Angorakatze unserer Gastgeber fühlt sich vernachlässigt und erbettelt Streicheleinheiten, nachdem sie nun doch unsere Anwesenheit zu entdecken geruht hat. Zu Lore auf die Sitzdecke traut sie sich zwar nicht, obwohl die über die Wärme ganz froh gewesen wäre. Daher gelingt ihr das mit dem Pfanne-Hauen beim Kartenspiel auch nicht so gut, allerdings auch deswegen, weil ich meine Taktik geändert habe. Lore war ja bisher immer der Meinung, bei diesem Spiel müsse man zwingend Hand-Rommé legen. Jetzt weiß sie es besser. Auf persönlichen Wunsch ihrer Majestät gibt es heute nochmals Avocado mit hausgemachter Cocktailsauce und Krabben in Knoblauch und Piri-Piri geschwenkt.

Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten

Vorhergehender Artikel

Nervenkostüm testen: Fahrt nach Boa Ventura

Ab Sao Vicente erwartet uns ein automobilistisches Abenteuer, die enge Landstraße über steilen Klippen nach Sao Jorge, der letzte noch nicht untertunnelte Küstenabschnitt Madeiras

Nachfolgender Artikel

Anschauliche Medien im Madeiran Story Museum

Nach Erledigung der Pflichteinkäufe finden wir im historischen Museum Zusatzinformationen, alte Filmdokumente und interaktive Medien zur jüngeren Vergangenheit Madeiras

Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

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